Celle im Nationalsozialismus

Stadtführung Markt 6, 29221 Celle, DE

Die Zeit des Nationalsozialismus - die Meisten verbinden ausschließlich große Städte wie Berlin oder Hamburg mit der grausamen Geschichte Deutschlands. Doch mithilfe dieser Tour sollen die Schicksale der Bürgerinnen und Bürger sowie die Ereignisse in der Stadt Celle genauer beleuchtet werden.

Autor: Seminarfach 13.1

6 Stationen

Stolpersteine (Alfred Cussel, Emilie Erbse und Grethe Zerkowski)

Markt 6, 29221 Celle, DE

7.000 Stolpersteine - und das alleine deutschlandweit. In ganz Europa gibt es mehr als 75.000 Stolpersteine, 59 davon in Celle. Die messingfarbenen Steine markieren Orte an denen Menschen gelebt, gearbeitet oder gebetet haben, die dem NS-Regime zum Opfer fielen. Die erste Stolpersteinverlegung, durch den Künstler Gunter Demning in Celle, fand am 16. April 2004 vor dem Haus im Kreise 4 statt (siehe Bild).

Die Geschwister Alfred (geb. 14.07.1881), Emilie (geb. 30.08.1877) und Grethe Cussel (geb. 09.09.1887) gehörten zu einer der ältesten jüdischen Familien Celles. Ihren Eltern Agnes und Julius gehört das Textil- und Bekleidungsgeschäft am Markt 6 bis zu seiner Konkurs Anmeldung. Alfred Cussel heiratete 1912 in Berlin seine Frau Rosa Erna Lessa (geb. 1889). Sie bekamen drei Kinder und lebten in Breslau und in Berlin. Alfred war Direktor einer erfolgreichen Baufirma und unterrichte sogar an technischen Universitäten. Durch die Nationalsozialisten verlor er seine Arbeit. Die Familie kämpfte ums Überleben. Sie verkauften ihre große Wohnung und lebten von ihren letzten Ersparnissen. Alfreds Gesundheitszustand verschlechterte sich zunehmend. Seine Kinder verließen die Schule und mussten arbeiten gehen.
Die Familie hatte den Wunsch auszuwandern, um den antijüdischen Gesetzen entfliehen zu können. Doch außer ihrem Sohn erhielten sie alle kein Visum.
Am 14. April 1941 verstarb Alfred an den Folgen seiner Lungenentzündung, seine Frau wurde 1941 nach Minsk deportiert, seine Tochter Steffi wurde im Jahr 1945 von den Amerikanern aus Ausschwitz befreit und zog zu ihrem Bruder Peter nach Australien.
Über das Leben der Geschwister von Alfred ist nicht viel bekannt. Grethe wurde 1942 in das Ghetto Piasi Luerskie deportiert und Emilie wurde 1941 nach Riga deportiert.

Stolperstein (Isidor und Robert Meyer)

Robert-Meyer-Platz 1, 29221 Celle, DE

Am Großen Plan 2/3 (heutiger Standort der Sparkasse) befand sich seit 1881 das Wäsche- und Aussteuergeschäft des Kaufmanns Isidor Meyer. Dieser vergrößerte stets sein Warenangebot und dehnte seine Verkaufsfläche aus. Durch die Erneuerung der Architektur entstand das moderne Geschäftshaus mit dem Namen „Hamburger Engros-Lager“ (siehe Bild). Isidor war Mitglied im Celler Radfahrverein, in der Freimaurerloge, im Museumsverein, im Männerturnverein und in der jüdischen Gemeinde, wodurch er zahlreiche Kontakte pflegte und ein bekannter Mann war. Ab 1913 übernahm sein Sohn Robert Meyer das Kaufhaus. Seine Frau, sowie seine zwei Kinder halfen neben den Mitarbeitern bei der Arbeit. Im Jahr 1929 eröffnete der Karstadt Konzern gegenüber Meyers Kaufhaus, wodurch sie starke Umsatzverluste machten und sich dazu entschieden ihre Geschäftsräume an Karstadt zu verpachten. Sie erhielten allerdings alle eine Geschäftsstelle bei dem Konzern.
Im Jahr 1933 waren die Maßnahmen der NSDAP auch in Celle spürbar. Sämtliche jüdische Mitarbeiter wurden fristlos entlassen. Die Kinder von Meyer emigrierten aufgrund des stark zunehmenden Antisemitismus im Jahr 1937 mit ihren Familien in die USA.
Robert Meyer zog nach Hamburg zu seinen Eltern. Von der Stadt Celle wurde er gezwungen zurückzukehren um seine Grundstücke zu verkaufen. Meyer benötigte das Geld von dem Verkauf um zu seinen Kindern in die USA ziehen zu können. Dieser Verkauf wurde allerdings von der Stadt immer weiter hinausgezögert, bis er den letztmöglichen Termin für eine Emigration verpasste.
„Die Familie wusste nicht, warum er nicht ankam, es war alles für die Überfahrt arrangiert worden“, berichtete seine erschütterte Ururenkelin Madeline Berger bei ihrem ersten Besuch 2019 in Celle.
1943 wurde er zunächst in Celle verhaftet und dann ins Gefängnis Hamburg-Fühlbüttel gebracht. Ende Juli erfolgte die Deportation nach Ausschwitz, wo er am 31. August 1943 ermordet wurde.
Zu seinen Ehren wurde der Platz gegenüben der Sparkasse 2007 zum Robert-Meyer Platz ernannt.

Congress Union

Thaerplatz 1, 29221 Celle, DE

Auf dem ersten Bild ist die Congress Union in den 1930-er Jahren zu sehen. Das zweite Bild zeigt eine Weihnachtsfeier in der Union.

Auch wenn die Congress Union einen modernen Eindruck macht, ist sie bereits 111 Jahre alt und seit ihrer Eröffnung der Mittelpunkt aller feierlichen, kulturellen und politische Veranstaltungen in der Stadt Celle. Durch ihre großen Festsäle, die genug Platz bieten, um mehrere hundert Menschen zu versammeln, wurde die Union in den 1930-er Jahren auch vermehrt von Nationalsozialisten in Anspruch genommen. Es wurden häufig Parteiversammlungen abgehalten und auch die Wahl von 1933 zelebriert. Politische Größen wie z.B. der Staatsminister Dietrich Klagges aus Braunschweig hielten ebenfalls Reden vor den Parteimitgliedern. Auch gewöhnliche Tanz- und Musikabende wurden weiterhin abgehalten, welche, besonders nach der Machtübernahme, stark ideologisch gefärbt waren und zur Stärkung der Gemeinschaft dienten. Die Congress Union wurde von den Nationalsozialisten sehr intensiv genutzt, sodass manche dieser Events nach draußen verlagert werden mussten und man überlegte sogar, große Sprechanlagen zu installieren. Als der 2. Weltkrieg allerdings ausbrach, wurden die Räumlichkeiten der Union von 1941-1945 in ein Lazarett umfunktioniert, um verletzte Soldaten zu pflegen und mit Nahrung zu versorgen und Celles größter Versammlungsort für die Nationalsozialisten entfiel.

Wissenswertes:
Der Thaerplatz, auf welchem du dich gerade befindest, wurde auf Antrag der NSDAP 1934 zu „Adolf-Hitler-Platz“ umbenannt. Dadurch wird die gesellschaftliche Relevanz der Congress Union deutlich, da der Platz nach dem bedeutsamsten Mann im Land benannt wurde. Die angrenzende Bahnhofstraße, welche du gleich passieren wirst, hieß bis nach dem Kriegsende „Hindenburgstraße“, an Gedenken an den Mann, der Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannte.

Cellesche Zeitung

Bahnhofstraße 1-3, 29221 Celle, DE

Das erste Bild zeigt den Marsch von Nationalsozialisten, darunter auch Angestellte der Celleschen Zeitung, am "Tag der nationalen Arbeit" (1.Mai 1933)
Auf dem zweiten Bild ist der Briefkopf der Celler Kriegsbriefe zu sehen

Wenn ein totalitäres Regime in einem Land die Macht übernimmt, fallen Informationsmedien wie Bücher und Zeitungen unter eine starke Zensur. Dasselbe geschah auch zur Zeit des Nationalsozialismus, in der alles was einen liberalen oder kommunistischen Touch hatte, verboten wurde. Die „Cellesche Zeitung“ durfte jedoch noch weiterhin herausgegeben werden. Dies lag vor allem daran, dass sich die Zeitung seit ihrer Gründung 1817 in eine bürgerlich nationale Richtung entwickelt hat. Sie trug nach der Machtübernahme dazu bei, die Nazi-Ideologie zu verbreiten und wurde aufgrund ihrer Systemtreue stark gefördert. Auch konnten sie ihr Ansehen durch ihren Schriftleiter (ein „in der Zeit des Nationalsozialismus […] der Reichspressekammer unterstellter Mitarbeiter“ ) Hans Nolte verbessern, welcher „Celler Kriegsbriefe“ an die deutschen Frontsoldaten versendete und sie über die Lage in der Region auf dem Laufenden hielt. Jedoch musste der Betrieb mit dem Beginn des 2. Weltkrieges stark eingeschränkt werden, weil es an Ressourcen (Papier) mangelte. Nach 1945 fiel die Zeitung bis 1949 (Gründung der BRD) unter die Lizenzpflicht (Alliierten kontrollierten Medien, um Denazifizierung vorantreiben zu können) und wurde in der Zeitspanne nicht herausgegeben, da sie die letzten Jahre nationalsozialistisches Gedankengut verbreitet hatte.

Stolperstein (Anna Hess, Martha Enoch, Else Rheinhold)

Bahnhofstraße 6, 29221 Celle, DE

Anna (geb. 27.5.1855), Martha (geb. 7.7.1856) und Elise (30.7.1865) waren Töchter des Kaufmanns und Bankiers Philipp Daniel.
Sie lebten gemeinsam bereits seit Generationen als jüdische Familie in Celle in der Bahnhofstraße 7 (seit Ende des 17. Jahrhunderts).
Anna verbrachte ihr Leben nach der Hochzeit in der Celler Synagoge in Hamburg, von wo aus sie 1943 im Alter von 88 Jahren, nach einem Aufenthalt im „Judenhaus“, nach Theresienstadt deportiert wurde und dort starb.
Martha lebte ebenfalls mit ihrem Mann in Hamburg. Am 30. Januar 1942 beging sie Selbstmord, vermutlich aufgrund des zunehmenden Antisemitismus.
Else lebte nach dem Tod ihres Mannes Otto Rheinhold (1937) in Hannover. Dort wurde sie im „Judenhaus“ in der Ohestraße 9 untergebracht, wo sie unter schrecklichen Voraussetzungen mit mehreren Hundert Menschen auf engstem Raum leben musste. Sie wurde wie ihre Schwester nach Theresienstadt deportiert und verstarb am 23.08.1942.

Mahnmal "Hasenjagd"

Bahnhofstraße 13, 29221 Celle, DE

Das Bild zeigt den Celler Bahnhof nach dem Bombenangriff

1. Grundinformationen:
• „Celler Hasenjagd“ oder „Celler Massaker“ genannt
• fand am 8. April 1945 statt
• amerikanischer Luftangriff -> Celler Bahnhof wurde bombardiert, traf einen Zug mit KZ-Häftlingen
• überlebende Häftlinge begaben sich auf die Flucht
• Jagd auf die Geflohenen begann -> wurden unter Beschuss bis in die Wälder verfolgt
Am 8. April stand ein Güterzug mit 50 Wagons auf dem Celler Güterbahnhof. In diesen Wagons befanden sich um die 3500 KZ-Häftlinge aus Außenlagern, die in Bergen Belsen eingeliefert werden sollten. Dies war Teil des Plans der SS, den Alliierten keine Häftlinge übergeben zu müssen. Die amerikanischen Luftangriffe sollten die Infrastruktur des Landes so zerstören, dass kein militärischer Nachschub mehr zustande kommen kann. Mehrere hundert Häftlinge wurden von den Bombenangriffen getötet. Flüchtende Häftlinge wurden von der SS und der Wachmannschaft unter Beschuss genommen. Einige Häftlinge flohen in Richtung Altstadt, andere in die Wälder, das Neustädter Holz oder auf den Fliegerhorst Wietzenbruch, wobei sie von Volkssturmmännern und HJ-Angehörigen verfolgt wurden. Nach einer Versammlung von Polizei, SS und Wehrmacht in der Celler Kreisleitung startete man eine „Durchkämmaktion“ bei der geflohene KZ-Häftlinge im Wald, ähnlich wie bei einer Treibjagd gesucht und oftmals darauffolgend erschossen wurden.