Farbiges Fachwerk in Esslingen - Denkmaltag 2020

Stadtführung Georg-Christian-von-Kessler-Platz 1, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Wenn wir an Fachwerk denken, fallen uns Gebäude wie das Kielmeyerhaus ein: buntes Fachwerk, reich verziert, vor weißem Grund. Dies war nicht immer so. Häuser haben über die Jahrhunderte immer wieder ihr Aussehen geändert, wie wenn sie wechselnde Kleider anhaben. Dem wollen wir nachspüren. Dipl. Ing Christine Keinath, Denkmaltag 2020

Autor: urba architektenpartnerschaft

11 Stationen

Kielmeyerhaus – Renaissancefachwerk wieder in alter Farbigkeit

Georg-Christian-von-Kessler-Platz 1, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Das Gebäude
Das Kielmeyerhaus hat eine der prächtigsten Fachwerkfassaden von Esslingen. Es ist die ehemalige Spitalkelter, 1582 anstelle einer älteren, abgebrannten Spitalkelter erbaut, wie Sie es auch an der Inschrift auf der Fassade erkennen können. 1582, das heißt mitten in der Renaissance und mitten in der Blütezeit der Fachwerkfarbigkeit.

Die Fassade wirkt so imposant durch das Renaissancefachwerk mit seiner kräftigen Farbe, aber auch weil durch die große Breite des Hauses soviel Giebelfläche für diesen Ziergiebel da ist, vor allem im Vergleich zu den Nachbargebäuden.

So wie dieses Fachwerk sah ein typisches Fachwerk damals aus: Die Fachwerkhölzer rot gefasst, hier im sogenannten Ochsenblutrot. Die Felder dazwischen, die Gefache, weiß gekalkt. Mehrere Linien wurden um jedes Gefach geführt. Die schwarzen, schattierten Begleitstriche geben dem Ganzen Tiefe und betonen die Ornamente. Die Fachwerkhölzer, also die Konstruktion des Hauses, wird dadurch hervorgehoben. Dieses Gestaltungsprinzip gab es zu verschiedenen Zeiten. Darüber hinaus wurde hier die Fläche auch mit dekorativen Hölzern gefüllt, wie Sie im Detail sehen können.

Das heutige Fachwerk sieht dem damaligen sehr ähnlich. Dazwischen hatte dieses Haus aber ganz unterschiedliche „Kleider“:

• Als dieses Haus erbaut wurde, gab es Häuser in rot, gelb und grau, die Stadt war sehr bunt. Das Fachwerk war sehr stark verziert und dekorativ oder die Gefache waren dekorativ bemalt.

• Ab dem 18. Jahrhundert verschwand die Freude an den stark farbigen Fassaden, die Häuser wurden nach und nach verputzt. Zum einen aus Brandschutzgründen, aber auch, weil man lieber glatte Fassaden mochte. So wurde auch dieses Haus verputzt.

• Im 19. Jahrhundert wurde das Fachwerk wiederentdeckt, allerdings vor allem als braunes Fachwerk. Es ging um eine anders verstandene Materialgerechtigkeit. Holz sollte braun sein, dafür wurden verschiedene Materialien miteinander kombiniert, z.B. Holz mit verschiedenfarbigen Ziegelausfachungen.

• Ab den 1970er Jahren wurden auch die originalen Farbfassungen von den Restauratoren wieder entdeckt. Die Häuser wurden wieder rot, gelb und grau, was in manchen Städten zu ziemlichen Irritationen führte. 1977 untersuchte ein Restaurator das Kielmeyerhaus und die ursprüngliche Farbigkeit wurde wieder hergestellt.

Wissenswertes
Das Fachwerk, das wir hier sehen, stammt aus der Blütezeit der Fachwerkfarbigkeit, dies war so um 1600. Die farbige Gestaltung von sichtbarem Fachwerk ist überwiegend ein Phänomen des 16. bis 18. Jahrhunderts, also von ungefähr 300 Jahren.

Farbiges Fachwerk gab es erst so ab ca. 1500, also seit der Neuzeit. Bis dahin war das Holz des Fachwerks unbemalt, oft mit Leinöl eingelassen und die Gefache mit einem bräunlichen Lehmputz oder einem weißlichen Kalkputz überzogen. Farbige Gestaltung bei Wohngebäuden gab es nur in den Innenräumen.

Schauen Sie genau hin
Schauen Sie sich das Fachwerk genau an. Sie sehen die senkrechten und die diagonalen Streben, das ist die Konstruktion des Fachwerks. Dazwischen und unter den Fenstern werden die Gefache flächig mit allerlei Zierrat gefüllt, der meist auf geometrische Grundformen zurückzuführen ist: Rauten (manche profiliert, also vertieft), Kreise, Kreuze, Rosetten, verschlungene Bänder, manche sind zur Betonung noch golden abgesetzt. Diese Ornamente sind konstruktiv nicht notwendig, sie füllen die Fläche und sind ein typisches Element des Renaissancefachwerks. Alles wird durch die Farbgestaltung noch hervorgehoben.


Vergleiche
Schauen Sie sich die Gebäude links und rechts des Kielmeyerhauses an. Die gesamte Reihe am Marktplatz waren Fachwerkgebäude, sie stammen vom 15. bis 17. Jahrhundert. Sie alle waren zeitweise genauso farbig gestaltet. Nach und nach wurde die ganze Reihe verputzt und die Gebäude bekamen andere Fassadengliederungen.

Dem Gebäude links z.B., dem Marktplatzbesen (Marktplatz 3), sehen Sie an den Vorkragungen, den Deckenbalken und an der Ecke an den Knaggen an, dass dies ein Fachwerkbau ist, genauer gesagt aus dem 15. Jahrhundert.

Das Gebäude rechts davon (Marktplatz 1) ist von 1655, also rund 70 Jahre jünger. Die Fenster mit ihren sogenannten Verdachungen und das Zwerchhaus stammen aus dem 19. Jahrhundert.

Das Gebäude weiter rechts (Mittlere Beutau 1) ist von 1450. Es bekam später neue Fenster und 1765 ein Mansarddach.

Gasthaus zum Wilden Mann – Barockfachwerk im Kleid des 19. Jahrhunderts

Marktplatz 5/1, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Das Gebäude
Das Gasthaus zum Wilden Mann hat ein Barockfachwerk, es ist also später – in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts – erbaut worden, am Ende der Zeit, in der man Fachwerk farbig zeigte. Es ist das letzte Gebäude, das man als fachwerksichtiges Gebäude errichtet hatte, alle späteren wurden gleich verputzt. Das Fachwerk ist schlichter und flächiger, die Fenster sind schon viel größer.

Wissenswertes
Auch dieses Haus war ab ca. 1800, wie fast jedes Haus, verputzt und wurde in den 1970er Jahren wieder freigelegt. Es wurde zeitgleich zum Kielmeyerhaus auf Farbe untersucht. Hier fand der Restaurator nur einen einzigen Balken mit roten Farbresten, vermutlich war es also auch ursprünglich rot.

Er hat nicht mehr gefunden, weil das gesamte Gebäude, also Balken und Gefache, weiß gekalkt waren. Dies ist eine seltene Zwischenstufe zwischen dem farbigen Fachwerk und dem verputzten Gebäude.
Er nannte es „einen technischen Fehler“ es war aber wohl eine gewollte Farbfassung. Man hatte das Fachwerk satt und wollte nicht, dass es in den Vordergrund tritt.

Tatsächlich ist es aber in braun gestrichen, eben der Farbigkeit, die man im 19. Jahrhundert den Häusern gab. Da wir bis in die 1970er, 1980er Jahre so gut wie kein anderes Fachwerk sahen, fühlt sich das für viele „am richtigsten“ an.

Vergleiche
Ein Vergleich mit dem Degerlocher Bezirksrathaus zeigt, wie ein komplett weißes Fachwerk ausgesehen haben könnte. Es ist ein neueres Beispiel, das Gebäude wurde 2005 saniert, aber der Hintergrund ist der Gleiche: Das Fachwerk soll nicht im Vordergrund stehen.

Schauen Sie genau hin
Das Fachwerk ist, typisch für das Barockfachwerk, sehr flächig, die einzelnen Geschosse kragen so gut wie nicht aus. Dies sehen Sie recht gut, wenn Sie von der Seite schauen. Wenn Sie genau hinschauen, sehen Sie, dass die Rauten unter den Fenstern im 1. Stockwerk dennoch plastisch hervorgehoben wurden.

Gasthaus Goldene Rose – Farbe lässt die Balken breiter erscheinen

Mittlere Beutau 10, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Das Gebäude
Das Gebäude zur Rose entstand 1569, wie Sie auf der rechten Konsole sehen können, auch hier wieder zum Höhepunkt der Fachwerkfarbigkeit. Seit dem 18. Jahrhundert ist es als Gasthaus Rose bekannt, mal als Goldene Rose, später als Rosenhäusle.

Es wurde in den 70er Jahren als eins der ersten Gebäude wieder mit einem ockerfarbigen Fachwerk versehen. Dies sorgte damals für Irritationen. Allerdings wurde dieses Gebäude nicht auf die ursprüngliche Farbfassung untersucht, vermutlich inspirierte der Name „Goldene Rose“ zum ockerfarbenen Fachwerk.

Schauen Sie genau hin
Schauen Sie sich die Farbe auf den Gefachen genau an. Die Farbe des Holzes wurde noch ein Stück weit ins Gefach hineingezogen. Erst dann kommt eine schwarze und dann noch eine farbige Linie. Dadurch wirkt das Holz breiter und die Häuser stehen prächtiger da. Ebenso konnten auch Balken begradigt oder symmetrischer gemacht werden. Idealerweise ist dann der Verputz auf dem Gefach in genau der gleichen Ebene wie das Holz.

Dies war ein sehr wichtiges Prinzip bei der Gestaltung der Fachwerke, es wird aber bei den heutigen Rekonstruktionen nicht immer angewandt.

Vergleiche
Vergleichen Sie die beiden Bilder eines Gebäudes in Dieburg vor und nach der Fassadeninstandsetzung. Links ohne Begleitstriche und Verbreiterung der Farbe in die Gefache hinein und rechts mit der historischen Farbigkeit. Der Unterschied ist enorm.

Ehemalige Schwanenapotheke – Sichtfachwerkgiebel als letzter Rest

Rathausplatz 3, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Das Gebäude
Dieses Gebäude ist aus dem späten 16. Jahrhundert, also ungefähr gleichalt wie das Kielmeyerhaus. Es sieht aber komplett anders aus, weil es – wie viele Gebäude am Marktplatz – im 19. Jahrhundert umgestaltet wurde.

Es ist davon auszugehen, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts alle Fachwerkgebäude verputzt wurden. Fachwerkgebäude waren nicht mehr en vogue, sie hatten ein schlechtes Image: Philipp Röder beschrieb um 1800 Esslingen „mit engen Gässchen und altmodischen Häusern, nur von Holz und Riegel gebaut.“ Steinerne Gebäude kamen in Mode. Viele Fachwerkhäuser wurden nun als Steinhäuser „verkleidet“ und wenn es nur aufgeputzte Kantenquaderungen waren, wie hier an diesem Gebäude. Mit einem zusätzlichen Zwerchhaus (auf der rechten Seite) und den horizontalen Fensterverdachungen bekam das Gebäude ein komplett neues Gesicht.

Links oben sehen Sie – als letzten Fachwerkrest – noch einen Sichtfachwerkgiebel. Aber auch dieser Giebel wurde im frühen 20. Jahrhundert wieder freigelegt. 1840, auf dem Gemälde von Braungart ist er noch verputzt.

Rathausplatz – Rathaus und Wohnhäuser bilden eine gestalterische Einheit

Rathausplatz 8, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Der Platz
Das Alte Rathaus steht mitten auf dem Rathausplatz und bildet mit den umgebenden Wohnhäusern eine Einheit. Beide, Rathaus und Wohnhäuser, wurden immer wieder umgebaut und auch die Fassaden wurden immer wieder verändert. Aber sie haben immer aufeinander reagiert und sich gemeinsam verändert. Die Wohnhäuser bilden im Grunde einen Rahmen für das zentrale Gebäude, das Alte Rathaus.

Als das Alte Rathaus als Kauf- und Steuerhaus 1424 erbaut wurde, standen hier ein Teil dieser Häuser oder ihre Vorgängerbauten. Bei allen Gebäuden war das Fachwerk ursprünglich ohne Farbe, dann rot, gelb oder grau.

1586 wurde das Alte Rathaus von Heinrich Schickhardt umgebaut und der neue Anbau später verputzt und mit horizontalen Gesimsen versehen. Ebenso wurden die umliegenden Häuser nach und nach verputzt und neu gegliedert.

Auf der Zeichnung des Alten Rathauses von Johannes Braungart sieht man den Zustand um 1840.

Bei der Sanierung des Gebäudes durch Rudolph Lempp in den 1920er Jahren wurde das Fachwerk wieder, wie in seiner ersten Fassung, rot gestrichen und der Schickhardt-Anbau im sogenannten Salzmorellenrot, also einem bläulichen Rot angemalt – eine recht dominante Farbe, die dem Gebäude wieder die Bedeutung gibt, die es benötigt.

In der Esslinger Chronik von 1926 bekam das Gebäude und sein Umfeld sogar eine Farbabbildung. Die umliegenden Wohngebäude reagieren auf die Farbgebung, so ist das Grün der Apotheke links davon ein wohltuendes Gegenstück zum leuchtenden Rot.


Altes Rathaus Südfassade – Die Schönheit liegt in der Konstruktion

Rathausplatz 11, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Das Gebäude
Sie stehen hier vor einer sehr imposanten Fachwerkfassade von 1424, ein „Paradebeispiel für den oberdeutschen Fachwerkbau des Spätmittelalters.“

Es ist ein Stockwerksbau, d.h. die einzelnen Stockwerke wurden getrennt voneinander abgezimmert und kragen auf den Deckenbalken des darunter liegenden Stockes aus. Diese Bauweise kam um 1400 auf, es ist also ein frühes und gleichzeitig imposantes Beispiel.

Die älteste Farbfassung des Alten Rathauses ist eine rote Fachwerkfassung, ganz ähnlich wie diese hier. Es ist eine sehr alte Farbfassung. Wie alt sie ist, können wir aber nicht sagen. Die Restauratoren können die einzelnen Farbschichten in ihrer Reihenfolge feststellen, aber sie können nicht sagen, wann genau eine Farbfassung aufgebracht wurde. Wir gehen aber davon aus, dass zum Zeitpunkt der Erbauung, 1424, das Fachwerk noch nicht farbig war.
 
Im Laufe der Zeit gab es wechselnde Farben, ockergelb und grau, der Neubau auch weiß mit ornamentaler Bemalung. Rudolph Lempp stellte – in Anlehnung an die älteste Fassung – wieder eine Fassung mit roter Farbe her, danach wurde es aber von Neuem braun gestrichen. Bei der letzten Sanierung (1994 – 2002) durch den Architekten Helmut Habrik wurde, trotz der Bedenken mancher Planer, diese rote Fassung wiederhergestellt. Die braunen Holzfassungen des 19. Jahrhunderts sind vielen noch so präsent, dass sie sich andere Holzfarben kaum vorstellen können.
 
Wissenswertes
Wieso waren die Häuser immer wieder rot, ockergelb und grau?
Farben waren teuer, es wurde an einem Gebäude eine große Menge an Farbe benötigt, die auch noch lichtecht und kalkverträglich sein musste. Deswegen griff man in der Regel auf leicht zugängliche Farben zurück.

Rot wurde aus Eisenoxid hergestellt. Aus Ocker, also gemahlener farbiger Erde, konnte rote oder gelbe Farbe hergestellt werden und Grau entstand aus Russschwarz, gemischt mit Kalk.

Es gab auch andere Farben, die waren aber sehr, sehr teuer, beispielsweise blau oder grün. Beispiele sehen wir noch im Verlauf des Rundgangs.

Erst im 19. Jahrhundert, mit dem Aufkommen von künstlichen Farben, wurden blaue oder grüne Farben erschwinglich.

Ochsenblutrot ist ein Farbname, wie Zitronengelb oder Lindgrün. Ochsenblutrot ist nicht aus Ochsenblut gemacht. Würde man frisches Rinderblut in die Farbe mischen, würde die Farbe schnell sehr braun oder schwarz werden. Sie wäre auch nicht wetterfest und würde schnell schimmeln.



Vergleiche
Schauen Sie mal auf das Fachwerk des Gebäudes Obertorstraße 74. Dies ist ein sehr altes und schlichtes Fachwerk von 1348. Hier hat jeder Balken seine Funktion: Die senkrechten Balken, die Ständer, tragen die Konstruktion, die diagonalen Balken werden für die Versteifung des Gebäudes benötigt. Diese werden da angebracht, wo es passt und wo sie gebraucht werden.

Wenn Sie nun nochmal einen Blick auf die Fassade des Alten Rathauses werfen, sehen Sie, dass hier die gleichen Elemente auftauchen. Nur sind hier die senkrechten und diagonalen Balken zu symmetrischen Formen, den sogenannten Mann-Figuren angeordnet. Aus dem rein konstruktiven wurde etwas gestaltet, was die Konstruktion in ihrer Schönheit und Mächtigkeit betont.

Dies wird mit dem Aufkommen des farbigen Fachwerks noch verstärkt.


Hafenmarkt 1 – Ockergelb, blau und rot: damals modisch und ganz schön teuer

Hafenmarkt 1, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Das Gebäude
Wir haben am Rathaus gerade eine der ältesten Farbfassungen eines Fachwerks gesehen, eine sehr schlichte Farbfassung. Hier sehen Sie nun eine der aufwendigsten Fassaden, also zwei Extreme dicht beieinander.

Auch dieser Giebel wurde 1988 wieder freigelegt. Es konnte bei der Renovierung nur die Bemalung im Giebel rekonstruiert werden, ursprünglich war die Bemalung an der ganzen Fassade, also durchaus noch prächtiger.

Die ältesten Teile dieses Gebäudes sind von 1363 (dendrochronologisch bestimmt) und auch dieses Haus wurde immer wieder an- und umgebaut. Es wird das Mauchartische Haus genannt, denn Jacob Mauchart hat das Gebäude 1598 wieder herrichten lassen und es so aufwendig bemalen lassen. Der Giebel ist also ungefähr zeitgleich mit dem Kielmeyerhaus entstanden und wenn man sagt, die Blütezeit der Fachwerkfarbigkeit war um 1600, so kann man das an diesen beiden Häusern noch gut sehen.

Wobei wir uns klar machen müssen, dass wir nur bei einzelnen Häusern Farbreste gefunden haben. Wir wissen nicht von allen Gebäuden die Farbgeschichte. Es ist also ein wenig zufällig, welche Häuser heute noch oder wieder farbig sind. Doch sicher galt die Regel, je näher am Marktplatz und Rathaus, desto prächtiger auch die Farbgestaltung. Und wir haben heute nur noch eine kleine Ahnung, wie bunt die Stadt tatsächlich um 1600 war.

Die ockergelben Fachwerkbalken werden hier von roten und blauen, gewundenen und gerollten Linien kontrastiert. Blau heißt – das Ganze war ganz schön teuer, das konnte sich nicht jeder leisten.

Wissenswertes
Die Farbe auf den Fachwerkbalken nennt man Amberger Gelb, zur damaligen Zeit war dies eine richtige gelbe Modewelle. Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts tauchte die Farbe auf einmal auf.

Ocker war nicht überall vorhanden, in Deutschland gibt es Ockergruben vor allem in der Oberpfalz. Deswegen war ein ockerfarbenes Haus auch etwas teurer als ein rotes Haus, denn der Transport kam noch dazu. Im Grunde ist dies immer eine Frage der Handelsbeziehungen gewesen.

Der Name Amberger Gelb ist eine Herkunftsbezeichnung, kein echter Farbname, denn die Farbe differierte von einer Ockergrube zur anderen.

Schauen Sie genau hin
Wenn Sie die beiden Farbfassungen am Alten Rathaus und hier vergleichen, so sind sie zwar sehr unterschiedlich, das Prinzip ist aber weiterhin das Gleiche: Das Holz ist farbig, die Gefache sind mit Linien eingefasst, dazwischen ist eine schraffierte Fläche.

Nur sind diese Linien hier sehr kunstvoll verschnörkelt und es wird mit zwei Farben gearbeitet, so dass hier an manchen Stellen ein richtiger 3D-Effekt entsteht. Dieses sogenannte Roll- und Beschlagwerk ist im Grunde nichts anderes wie die Imitation von aufgerollten Bändern und von aufgenieteten Beschlägen (Sie sehen die Nieten in den blau schraffierten Flächen).

Fachwerkzeile Hafenmarkt – Eine Bauzeit aber vier verschiedene Fassaden

Hafenmarkt 6, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Die Gebäude
Wir stehen hier vor der ältesten deutschen Fachwerkzeile, alle Häuser sind zwischen 1329 und 1333 erbaut worden, also mehr oder weniger in einem Zug. Die Fassaden zeigen heute aber die unterschiedlichsten Zeiten auf:

• Beim Gebäude Hafenmarkt 10 ist die Fassade im Zustand von 1496 rekonstruiert worden.
• Beim Hafenmarkt 8 stammt die Fassade aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
• Die klassizistische Gestaltung des Gebäudes Hafenmarkt 6 stammt aus dem 19. Jahrhundert.
• Hafenmarkt 2 und 4 wurden schon einmal abgebrochen, hier ist die Konstruktion von 1327/28 rekonstruiert worden, die Farbgestaltung der Fassade geht eher auf die Zeit um 1600 zurück.

Wissenswertes
Sie sehen vom Gebäude Hafenmarkt 10 einen Teil der restauratorischen Untersuchung. Jede Nummer ist eine Farbschicht. Rekonstruiert wurde die Fassung 3, deren Detail Sie auf dem Bild sehen.

Es muss angenommen werden, dass das Gebäude in der ersten Fassung weiß getüncht war. Ganz am Anfang und ganz am Ende der Fachwerkfarbigkeit stehen also komplett weiße Fassungen.

Auf dem zweiten Bild sehen Sie, wie die Farbe früher aufgebracht wurde. Die Farbe auf dem Balken wurde noch ein Stück ins Gefach hineingezogen. dann wurde mit mehreren Linien oder Schattierungen abgesetzt, die restlichen Gefache wurden weiß getüncht. Es ist also fast gleich wie damals aber nicht exakt das Gleiche.

Schauen Sie genau hin
Schauen Sie sich den krummen Balken links unten am Gebäude Hafenmarkt 8 an. So hätte es ein Maler der Renaissance nie stehen lassen, er hätte den Balken begradigt. Auch der Balken auf dem nächsten Bild wäre begradigt worden.

Vergleiche
• Drehen Sie sich um und vergleichen Sie den Fachwerkgiebel des Gebäudes Hafenmarkt 3 mit der Fassade Hafenmarkt 10. Wie sehr ist der Charakter verändert, nur dadurch dass die Balken gebogen sind und die Begleitstriche ganz zart sind.

• Gehen Sie durch diese Stadt oder auch durch andere Fachwerkstädte und vergleichen Sie, wie viele Arten von Begleitstrichen es gibt. Es ist immer das gleiche Prinzip, immer wieder variiert, mal mit Schatten, mal mit dicken und dünnen Linien, mal eine, mal zwei verschiedenfarbige, mal flächig, mal plastisch…

Hafenmarkt 10 – „Man sieht nur was man weiß, man findet nur, was man sucht.“

Hafenmarkt 6, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Bohlenstuben
Im Haus gab es mehrere Bohlenstuben, also ein Raum komplett aus Holz, vorzugsweise in Ecklage, der durch einen von außen befeuerbaren Ofen rauchlos erwärmt werden konnte. Diese Bohlenstuben waren ursprünglich unfarbig, mit Leinöl eingelassen, die Wände vermutlich mit Stoffen behängt. Seit der frühen Neuzeit wurden diese Bohlenstuben auch oft bemalt, teilweise sehr prächtig.


Diese Bohlenstubendecke – bemalt mit einer Sonne, Mond und roten Sternen, der Himmel blau grundiert – war durch die blaue Farbe aus Lapislazuli, also gemahlenem Edelstein, in einer Größe von rund 20 m² sehr repräsentativ und kostbar.

Wissenswertes
Es gab aber auch Zeiten, in denen man Bohlenstuben komplett schwarz gestrichen hatte. Für uns heute ungewohnt, der ganze Raum so dunkel, dazu noch mit kleinen Fenstern. Doch damals hatte man eine andere Vorstellung von Wohnlichkeit. Vermutlich konnten diese schwarzen Stuben glänzend poliert werden und waren mit farbigen Tüchern kontrastiert.

Da uns dies so ungewohnt vorkommt, werden diese schwarzen Fassungen bei Untersuchungen oft nicht bemerkt, teilweise nur als Rußschicht zwischen zwei farbigen Schichten interpretiert. Hier, in diesem Gebäude, wurde bei den Untersuchungen auch schon eine schwarze Fassung festgestellt. Sie wurde aber 1991 als das damalige Werk eines offensichtlichen seltsamen Menschen dargestellt:

„Der Meister der „schwarzen Zunft“, Franckh, hatte damals, nachdem er eingezogen war, die gute hölzerne Stube – zum Entsetzen der gesammelten Bewohnerschaft beider Häuser – ganz in schwarz ausgemalt!“
Stadthaus-Architektur und Alltag, 1991

Heute weiß man, dass dies zum damaligen Zeitpunkt durchaus üblich war. Je mehr man über schwarze Bohlenstuben weiß, desto öfter findet man sie auch. Das gleiche gilt für die komplett weißen Fachwerkfassungen, die auch lange Zeit nicht bekannt waren.

Apothekergasse 13 – teure Fassadenpracht in Blau

Apothekergasse 13, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Das Gebäude
Hier sehen wir wieder ein Haus, das erst in der Renaissance erbaut wurde und zwar 1644 für den Apotheker Johann Kautter, wie man es auf dem ockerfarbenen Balken im 2. OG lesen kann. Es war äußerst reich mit Ornamenten und Architekturmalereien geschmückt. Zwei Beispiele konnte der Restaurator noch feststellen, es wurde bei der Sanierung jedoch nicht mehr rekonstruiert.
Vermutlich war jedes Gefach mit Ornamenten gefüllt. Hier stand nicht mehr die Konstruktion im Vordergrund sondern die Ornamentik.

Auch die beiden Konsolfiguren im Erdgeschoss zeugen noch vom Reichtum dieses Hauses.

Wissenswertes
Das Blau war eine der teuersten Farbe, die es damals gab. Sie bestand aus gemahlenem Edelstein, Lapislazuli. Diesen Stein gab es nur in Afghanistan, vom Handel „übers Meer“ kommt auch der Name „Ultramarin“.

1644, also nach dem 30jährigen Krieg, konnten sich die wenigsten Bauherren in Esslingen eine so teure Fassade leisten.

Farbiges Esslingen

Rathausplatz 1, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Sie sind jetzt wieder zurück beim Alten Rathaus, ich hoffe, Ihnen hat der Rundgang gefallen.

Sie haben bei diesem Rundgang einen kleinen Teil der Esslinger Fachwerkhäuser gesehen – es gibt noch viel mehr zu entdecken!

In Esslingen gibt es noch sehr viele Fachwerkhäuser aus verschiedenen Jahrhunderten, die ältesten sind über 750 Jahre alt. Heute stehen die Häuser aus allen Ausbauzeiten nebeneinander, es gibt verputzte Fassaden, wieder rekonstruierte, im 19. Jahrhundert umgebaute… diese Vielschichtigkeit macht den Reiz von Esslingen aus.

Die besondere Farbigkeit der Fachwerkfassaden, die man heute zuerst vor Augen hat, wenn man an Fachwerk denkt, gab es nur rund 300 Jahre lang – bis sie am Ende des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde.
 
Die Besonderheit dieser Fassaden war nicht nur ihre starke Farbigkeit, es wurde durch die Farbe die Schönheit der Fachwerkkonstruktionen hervorgehoben.
 
Hausfassaden verändern sich immer wieder, die „Hauskleider“ kann man wechseln, es ist aber gut, dem Haus eine Farbigkeit zu geben, die zu ihm, zu seiner Erbauungszeit oder zu seiner prägenden Zeit passt. Es wird immer wieder neue Erkenntnisse zur Farbigkeit geben, deswegen ist eine gründliche Untersuchung durch Restauratoren so wichtig. „Denn man findet nur, was man kennt.“
 
Gleichzeitig ist die Summe der Häuser ein Ensemble, in dem jedes Haus eine Rolle spielt. Auch in der Farbgestaltung.