Eine alte russische Legende erzählt:
Ausser den drei weisen Sterndeutern, die das Kind in der Krippe suchen wollten, hatte sich auch noch ein vierter Sterndeuter auf den Weg gemacht. Drei wertvolle Edelsteine wollte er schenken. Aber weil sein Kamel lahmte, kam er zu spät zum vereinbarten Treffpunkt.
Trotzdem machte er sich auf. Doch er kam zu spät. Eine arme Mutter, die sich nicht trösten liess, erzählte ihm von dem furchtbaren Kindermord in Bethlehem, dem auch ihr Söhnchen zum Opfer gefallen war. Voller Mitleid schenkte er ihr einen leuchtend roten Edelstein, den er eigentlich dem Königskind schenken wollte.
Nach langen Monaten erreichte er Ägypten, aber er fand heraus, dass das Jesuskind mit seinen Eltern wieder in die Heimat gezogen war. Überall fragte und suchte er. Am Rande einer grossen Stadt traf er auf einen Aussätzigen, der schon fast verhungert war. Ihm schenkte er den zweiten Edelstein.
Trotz der langen Jahre seines Suchens hatte seine Sehnsucht, den König der Welt zu finden, eher noch zugenommen. Aber er fühlte auch, wie sein altes Herz die anstrengende Reise um die halbe Welt nicht mehr lange aushalten würde. Einem nackten und frierenden Kind schenkte er noch den letzten Edelstein, damit es sich kleiden und satt essen könne.
In der Nacht träumte er von seinem Stern, träumte von seiner Jugend, als er aufgebrochen war, um den König der Welt zu finden. Sofort brach er auf. Der Stern war wieder da und führte ihn vor die Tore Jerusalems. Der Stern, der ihn einst zu dem Kind führen sollte, blieb über einem Kreuz stehen, leuchtete noch einmal auf und erlosch.
«So muss ich also sterben», flüsterte der alte, weise Sterndeuter in jäher Todesangst, «sterben, ohne dich gesehen zu haben? So bin ich umsonst durch die Städte und Dörfer gewandert wie ein Pilger, um dich zu finden, Königskind?»
Da aber traf ihn der Blick des Menschen am Kreuz, ein unsagbarer Blick der Liebe und Güte. Vom Kreuz herab sprach die Stimme: «Du hast mich getröstet, als ich verzweifelt war, und gerettet, als ich in Lebensgefahr war; du hast mich gekleidet, als ich nackt war!»
«Herr, ich? Wo?»
«Was du den Menschen, die in Not waren, getan hast, das hast du mir getan!» Der vierte Sterndeuter erkannte mit einem Mal: Dieser Mensch ist der König der Welt. Ihn habe ich gesucht in all den Jahren.
Er hatte ihn nicht vergebens gesucht, er hatte ihn doch gefunden.