"Mögen ihre Seelen ...im Himmel eingebunden sein"

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Das System der Konzentrationslager führt auch nach Esslingen zum Ebershaldenfriedhof. Dort befindet sich auf dem jüdischen Teil ein schon 1948 angelegtes Grab- und Mahnmal für die Toten der Konzentrationslager Echterdingen und Hailfingen-Tailfingen. Was es damit auf sich hat erklärt die Esslinger Kulturwissenschaftlerin Dr. Gudrun Silberzahn-Jandt.

Autor: Gudrun Silberzahn-Jandt

4 Stationen

„Mögen ihre Seelen bei allen Gerechten im Himmel eingebunden sein“

Landenbergerstraße 50, 73728 Esslingen am Neckar, DE


„Mögen ihre Seelen bei allen Gerechten im Himmel eingebunden sein“, so lautet die Übersetzung der Inschrift in der Mitte des Grab- und Mahnmahls mit dem Davidstern und den beiden Platten mit Namen im jüdischen Teil des Ebershaldenfriedhofs.

Schon im 13. Jahrhundert lebten jüdische Familien in der aufstrebenden Reichsstadt Esslingen. In der Blütezeit betrug der Anteil nahezu 10%. Diese erste jüdische Gemeinde wurde über die Stadt Esslingen hinaus durch den Esslinger Machsor bekannt. Dies ist ein künstlerisch illustriertes in feinster Handschrift erstelltes jüdisches Gebetbuch, das zugleich die älteste überlieferte Handschrift deutscher Juden ist. Es besteht aus zwei Bänden, der eine wird in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden und der andere in der Staatsbibliothek Breslau verwahrt. Ein ebenfalls sehr aufwendig hergestelltes zweibändiges Gebetbuch ist in New York und Amsterdam. Der hohe technische und künstlerische Aufwand, mit dem diese Bücher gestaltet sind, zeugt von dem Wohlstand, dieser Gemeinde. Die Synagoge dieser Gemeinde stand am heutigen Hafenmarkt und somit mitten im damals vornehmsten Wohngebiet. Ein Jahr nach Ausbruch der Pestepidemie endete die Ära des christlich -jüdischen Miteinander. Am 27. Dezember 1348 seien die Juden in ihren Häusern und in der Synagoge verbrannt. Ob es sich um eine rituelle Selbstverbrennung oder um ein Pogrom der christlichen Bevölkerung handelt bleibt unklar.

Spätere Ansiedlung von jüdischen Familien war nur von kurzer Dauer. Erst mit der territorialen Veränderung Esslingens, als die Stadt württembergisch geworden war, durften sich jüdische Familien wieder dauerhaft in Esslingen ansiedeln. 1806 stellte König Friedrich I. von Württemberg fünf jüdischen Familien aus dem bei Tübingen gelegenen Dorf Wankheim einen Schutzbrief aus, der ihnen auch erlaubt Handel zu treiben. Schon ein Jahr später kaufte diese jüdische Gemeinde ein kleines Gebäude an der Maille, in dem sie ihr rituelles Bad, die Mikwe einrichtete. Nördlich der Beutau erwarben sie für einen Friedhof ein Grundstück.
Dieser jedoch war bereits nach wenigen Jahrzehnten zu klein, so dass die jüdische Gemeinde die Stadt um Unterstützung bei der Suche nach einem weiteren Platz zur Bestattung bat. Die Kommune jedoch hielt über nahezu 30 Jahre die Gemeinde hin. Mit der Neuanlage des städtischen Friedhofs erhielt die jüdische Gemeinde 1874 ein Areal zugewiesen, wo sie nach jüdischem Ritus bestatten durfte. Dort befindet sich seit 1947 das Grab- und Mahnmal mit dem imposanten Davidstern.

Das KZ Echterdingen - auf der Gemarkung der Gemeinden Echterdingen und Bernhause

Urbanstraße 67, 73728 Esslingen am Neckar, DE

Am 17. November 1944 startete ein Zug mit vermutlich1200 jüdischen Häftlingen des Kz Stutthof bei Danzig nach Südwesten in die Region Stuttgart. Nach 3 oder vier Tagen und Nächten durften die Häftlinge in Hailfingen-Tailfingen und Echterdingen die Waggons verlassen und wurden zu den provisorisch errichteten Lagern getrieben. Der genaue Tag der Ankunft der 600 jüdischen Häftlinge in Echterdingen ist in keiner Quelle erwähnt. Vermutlich war es der 20. oder 21. November. Denn der erste Häftling starb bereits am 22. November.

Die Häftlinge stammten aus 17 europäischen Ländern, darunter 201 aus Ungarn, 147 aus Polen, 80 aus Griechenland, 43 aus Frankreich und 32 aus den Niederlanden. Untergebracht waren sie auf dem Flughafengelände in einem unbeheizten Hangar. Dieser befindet sich auf dem – heute von der US-Army genutzten Teil des Flughafens. Die Häftlinge wurden zu Bauarbeiten am Flughafen eingesetzt. So mussten sie Ausbesserungsarbeiten für die durch Bombenschäden teilweise zerstörte Start- und Landebahn am Flughafen ausführen, Teile einer Verbindungsbahn zwischen Flughafen und Autobahn bauen und Unterstände für Flugzeuge erstellen. Regelmäßig waren sie in Kolonnen unterwegs zu den Steinbrüchen, wo sie Steine brachen und das Material für die Reparaturen in von ihnen gezogenen Karren herschafften. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Dörfer sahen diese ausgemergelten Männer auf diesem Weg. Manche wagten es , ihnen etwas zu essen an den Rand des Weges zu legen, anderen waren diese Männer schlichtweg egal oder befürworteten gar die NS-Rassenpolitik und die Idee der Ausbeutung durch Arbeit und den so einkalkulierten Tod dieser Männer.

Im Lager brach nach kurzer Zeit eine Fleckfieberepidemie aus, woran viele der Männer innerhalb von wenigen Tagen und Wochen verstarben. Andere starben an Hunger und Kälte. Insgesamt 119 wahrscheinlich sogar 121 kamen so bis zur Auflösung des Lagers im Januar 1945 zu Tode. Die ersten 19 Verstorbenen wurden im Krematorium in Esslingen eingeäschert. Ihre Namen finden sich im Einäscherungsregister des Friedhofs. Weitere 66 Verstorbene wurden im Bernhäuser Forst verscharrt. 2005 stieß ein Bagger bei Bauarbeiten auf dem Flugfeld zufällig auf 34 Skelette weiterer Opfer. Nach intensiven politischen und religiösen Diskussionen wurden diese Skelette am 15. Dezember 2005 wieder an ihrem Fundort beigesetzt und 1 ½ Jahre später Grabplatten gelegt. Im Juni 2010 wurde vor dem ehemaligen Lager eine Gedenkstätte eingeweiht. Wer zum Gräberfeld geht, hört die Namen der Männer - 200 Bürger aus Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen haben sie für diese Toninstallation ausgesprochen. So ist im Nachhinein ein wenn auch zerbrechliches Band entstanden zwischen den Bürgern und den jüdischen Männern, die für kurze Zeit unfreiwillig auch Einwohner dieser Städte waren.

Tailfingen

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Noch bis zum Jahr 2008 war nicht bekannt, dass 15 Leichen des KZ-Außenlager Hailfingen-Tailfingen im Dezember 1944 nach Esslingen transportiert, dort im Krematorium des Ebershaldenfriedhofs eingeäschert und ihre Asche anschließend beigesetz wurde. Elisabeth Timm erwähnte dies in dem Buch über Zwangsarbeit in Esslingen, das 2008 erschien. Ich stieß bei meinen Forschungen zu Euthanasie und Zwangssterilisation im Einäscherungsregister ebenfalls auf diese kryptische Notiz, die lautete „13. Dez. 15 unbekannte Leichen aus Hailfingen“ und nahm daraufhin mit den Herrenberger Historikern Volker Mall und Harald Roth Kontakt auf, da mir bekannt war, dass sie zum KZ-Hailfingen, einem der über 60 Außenlager des Lagersystems Natzweiler forschen. Ihnen gelang es mit dem Abgleich des sogenannten Nummernbuchs die Namen der in Esslingen bestatteten ausfindig zu machen. In dem Nummernbuch hatte der Lagerschreiber akkurat das Geburts- und Sterbedatum sowie die Nationalität und den Namen, des jeweiligen Häftlings, oft nur so wie er ihn gehört hatte, notiert und jedem eine Nummer zugeteilt. Zudem vermerkte er, dass es sich bei den Häftlingen nach den NS-Kriterien um Juden gehandelt hatte.

Formal war das KZ Hailfingen-Tailfingen ein Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof im Elsass. Dieses aber war bereits im September 1944 wegen des Vormarsches amerikanischer Truppen geräumt worden und diente nur noch verwaltungstechnisch als Stammlager für viele Außenlager. Das Konzentrationslager Hailfingen-Tailfingen bestand von November 1944 bis Mitte Februar 1945. Es gilt als das Lager im Südwesten mit der höchsten Todesrate. Innerhalb weniger Wochen starben von 601 Häftlingen ungefähr 190. Manche von den bereits ausgemergelten Männern starben an Hunger und Krankheit andere aufgrund der brutalen Quälereien bei der Arbeit in den naheliegenden Steinbrüchen oder bei den Bau- und Planierungsarbeiten am dortigen Flughafen. Einige wurden totgeprügelt, andere erschossen. Zu Anfang wurden die Toten noch eingeäschert, 99 im Krematorium in Reutlingen eingeäschert, 15 weitere Leichen im Dezember 1944 im Esslinger Krematorium. Wie viele der 601 jüdischen Häftlinge nach der Räumung des KZ Mitte Februar 1945 oder auf den Todesmärschen ums Leben kamen, konnte trotz umfangreicher Forschung bisher nicht geklärt werden.
Beispielhaft soll der Leidensweg des am 24. September 1903 in Amsterdam geborene Samuel Soesan nun vorgestellt werden. Sein Sohn Berry Soesan gab den Anstoß für das Mahnmal in Esslingen.

Samuel Soesan war gelernter Diamantschleifer und mit der Katholikin Maria Hubertina Louisa Suijlen verheiratet. 1940 wurde der Sohn Berry geboren. Da Samuel Soesan mit einer Christin verheiratet war, blieb er von den Deportationen, mit denen die Nationalsozialisten im Sommer 1942 in den besetzten Niederlanden begannen, erst einmal verschont. Nach den Erinnerungen seines Sohnes hatte sich Samuel Soesan geweigert, für die deutschen Besatzer zu arbeiten und war in den Untergrund gegangen. Doch sein Versteck flog auf und er wurde verhaftet. Am 5. September 1944 wurde er in das Konzentrationslager Auschwitz und von dort weiter in das nahe Danzig gelegene KZ Stutthof deportiert. Samuel Soesan war einer von 600 Häftlingen, die am 17. November 1944 ins KZ-Außenlager Hailfingen-Tailfingen geschickt wurden. Dort kam der Transport am 21. November an. Der 41-Jährige überlebte Hunger, Kälte und die Strapazen der Schwerstarbeit nicht lange. Samuel Soesan starb am 6. Dezember 1944.

Das Grab- und Denkmal

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Wie kam es zu dieser Grab- und Gedenkstätte?

Am 29. Oktober 1945 wurden die im Bernhäuser Forst in einem Massengrab bestatteten 66 Häftlinge des KZ-Echterdingen nach Esslingen überführt und im Beisein eines Rabbiners bestattet. Am 11. September des darauffolgenden Jahres beschloss der Gemeinderat der Stadt Esslingen, dass „die Gräber der auf dem Ebershaldenfriedhof bestatteten Juden [ ] ausgeschmückt werden [sollen].“ Esslingens Oberbürgermeister Fritz Landenberger legte in der Diskussion die Art der Gestaltung mit folgenden zwei Charakteristika fest: „Nichts Üppiges, sondern etwas Würdiges.“ und der Gemeinderat beauftragte die Verwaltung, weitere Schritte zu unternehmen“. Am 15. Januar 1947 beschloss das Gremium, fünf Künstler zu einem Gestaltungswettbewerb einzuladen und eine Jury einzusetzen. Neben dem Oberbürgermeister und Bürgermeister Georg Deuschle fungierten die Gemeinderäte Karl Strauss, Thomas Ruf und Gustav Hummel sowie der Maler Professor Hermann Sohn aus Esslingen und der Stuttgarter Architekt Ernst Guggenheimer als Vertreter der jüdischen Gemeinden als Juroren. Ihre Wahl fiel auf den von dem Bildhauer Eugen Schwab aus Stuttgart-Weilimdorf entworfenen Davidstern. „Die Grundidee des Künstlers, den Stern, der im Gräberfeld liegend von allen Seiten die gleiche vollkommene Form zeigt, für die formale Gestaltung zu verwenden, wurde zur Ausführung vorgeschlagen“, heißt es in einer Niederschrift des Bürgermeisteramts vom 17. Juni 1947. Die in deutsch und hebräisch verfasste Inschrift auf einer Metallplatte hatte Fritz Landenberger in Absprache mit Ernst Guggenheimer selbst vorgeschlagen: „Hier ruhen 85 Juden unbekannter Nationalität, Opfer nationalsozialistischer Grausamkeit. Ihr Sterben sei eine Mahnung zur Menschlichkeit für die lebende Generation. 1947.“

Kaum hatte sich die Jury für den Davidstern entschieden, keimten im Gemeinderat Bedenken auf. Ein Gemeinderat sah sogar die Gefahr, „dass das Ehrenmal eines Tages geschändet“ werden könnte. DKP Mann Hans Rueß schloss sich „diesen Ausführungen an“ und betonte: es sei bedauerlich, „dass sich der Antisemitismus tatsächlich in steigendem Maße bemerkbar“ mache. Umso wichtiger sei es für die politischen Parteien „gegen diese judenfeindliche Gesinnung anzulaufen“. Diese Einwände teilte auch Karl Strauß von der CDU, der sich dafür aussprach „eine andere Lösung zu finden“. Ähnlich sah es Edgar Kölle (FDP). „Er führt die anwachsende feindselige Haltung gegen die Juden auf die verderbliche Propaganda des Nazi-Regimes zurück“, ist im Sitzungsprotokoll festgehalten. Dem Antisemitismus könne man nur durch „unermüdliche Erziehungsarbeit, die schon bei der Schuljugend beginnen“ müsse Einhalt gebieten. Dies sehe er als Aufgabe des demokratischen Staates. Oberbürgermeister Fritz Landenberger ließ sich jedoch nicht beirren und trat für das geplante Grabmal ein. Er verwies darauf, dass der Davidstern in der jüdischen Religion die gleiche Bedeutung habe wie das Kreuz für die christlichen Konfessionen.

Im September 1948 wurde der Gedenkort im Beisein von Landenbergs Nachfolger, Oberbürgermeister Dr. Dieter Roser, und Landrat Georg Geist, mit anschließender Feier im Gemeindehaus am Blarerplatz eingeweiht. Dabei wurden Ausschnitte aus der Verteidigungsrede des 1943 zum Tode verurteilten Professor Kurt Huber, Mitglied der weißen Rose, vorgelesen. Schüler und Schülerinnen des jüdischen Waisenhauses sowie Vertreter und Vertreterinnen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes waren ebenfalls als Ehrengäste geladen. In der öffentlichen Diskussion wurde der Stein nicht einfach als Grabstein sondern als „“Mahnmal“ oder „jüdisches Ehrenmal“ bezeichnet. Damit erhielt er zudem die Funktion des Erinnerns und Mahnens.

Nachdem Berry Soesan, Sohn des in Esslingen bestatteten KZ-Häftlings Samuel Soesan Esslingen besucht hatte, beantragte die SPD-Fraktion den namentlich bekannten Opfern des KZ Echterdingen und Hailfingen-Tailfingen an dem Grabmal zu gedenken. Daraufhin wurde ein Wettbewerb ausgelobt mit der Vorgabe „Einfachheit und Schlichtheit ohne Verzicht auf künstlerische Qualität.“ Die Gewinnerin des Wettbewerbs, Rotraud Hofmann entschied sich für Stein, der mit dem bisherigen monumentalen Davidstern Beziehung aufnehmen kann. Auf insgesamt fünf Platten befinden sich die Namen der in Echterdingen und Hailfingen-Tailfingen Ermordeten. Dazwischen liegt eine sie verbindende schmale Steinplatte mit der Inschrift „Sie alle fielen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer – Esslingen gedenkt ihrer und ihrer Leiden“. Dieses Mahnmal wurde im Sommer 2013 eingeweiht.