Das Gemälde "Tatlin", das auch auf den Plakaten der Ausstellung zu sehen ist, bezieht sich auf Wladimir Jewgrafowitsch Tatlin, dessen Entwurf eines Denkmals für die "Dritte Internationale" aus dem Jahr 1920 zu den wichtigsten Werken der russischen Avantgarde zählt. Das 400 Meter hohe Monument – parallel zur Erdachse gestellt, mit vier unterschiedlich rasch nach kosmologischen Rhythmen und Gesetzen um die eigene Achse rotierenden Innenkörpern – hätte den Sitz einer hierarchisch und gerecht organisierten Regierung einer neuen sozialen Ordnung repräsentiert, blieb aber Utopie. Das unausgeführte Modell des Gebäudes gilt heute als Sinnbild für utopisches Denken und als Ikone des Konstruktivismus.
Muches Gemälde besticht durch seine grell rot-orangene Farbigkeit und die wirbelnde Kreisbewegung seines architktonischen Motivs, dessen Grundlage das erwähnte Modell Tatlins darstellt. Als revolutionärer Utopist und künstlerischer Querdenker ist Tatlin eine für den Künstler Jan Muche besonders spannende Person und so ist das einzige Gemälde dieser Ausstellung, auf dem ein Mensch dargestellt ist, Tatlin gewidmet. Es zeigt den Künstler als jungen Mann vor seinem Modell stehend. Als Vorlage diente eine Schwarzweißabbildung. Das Bild des Künstlers scheint sich aufzulösen und sich mit der Konstruktion aus farbigen Brettern in Rot-, Gelb- und Rosttönen zu verbinden.
"Die Motive seiner Bilder findet Jan Muche beim Durchkämmen unterschiedlicher Zeitschriften, Zeitungen, Bücher und in den Weiten des Internets. Er nimmt diese Bilder als gefundene Objekte, behandelt sie wie Strandgut, angespült aus dem alltäglichen Bilderstrudel der Medien, kopiert sie hin und her, kombiniert sie miteinander – solange bis sie schließlich oft in grober, ausgewaschener und durch den Kopierprozess teilweise entfremdeter Weise auf seiner Leinwand wieder auftauchen. Da finden sich Raumfahrtszenen, Parabolspiegel und Satellitenschüsseln, Autos, Ausschnitte von Motoren und Schaltanlagen, Architekturpartikel und Häuserfronten, Portraits bekannter oder unbekannter Menschen, mal im Close-Up, beinahe das ganze Bild ausfüllend, mal als beiläufiges Personal in größere Bildwelten". (Dominikus Müller in „Jan Muche – alles kann, nichts muss“, Ausstellungskatalog schultz contemporary berlin, 2008)
In einem kurzen Video erzählt Jan Muche die Entstehungsgeschichte dieses Bildes.