Kritische Straßennamen Mainz

Stadtführung 55116 Mainz, DE

Oft streifen wir durch Städte, ohne auf Straßennamen zu achten und ohne ihren Hintergrund zu kennen. Über die nächsten Stationen hinweg möchten wir euch deswegen dazu einladen, mit einem kritischen Blick durch die Straßen von Mainz zu gehen und sich mit nationalsozialistischen Kontinuitäten zu befassen.

Autor: Kritische Straßennamen Mainz

15 Stationen

117er Ehrenhof

117er Ehrenhof 1, 55118 Mainz, DE

Der Platz und die Straße 117er Ehrenhof in der Mainzer Neustadt wurde 1933 mehrfach umbenannt. Zunächst war der Platz und die Straße nach Georg Forster (1754-1794), einem Schriftsteller, Naturforscher und Revolutionär benannt. Die Nationalsozialist*innen sahen Georg Forster als "Landesverräter" und benannten die Forsterstraße und den Forsterplatz deswegen um. Im März 1933 wurde die Straße und der Platz nach dem SA-Sturmbannführer Horst Wessel benannt. Im Juli desselben Jahres wurde auf dem Platz ein Ehrenmal für das 1919 aufgelöste "3.Großherzogliche Hessische Infanterie-Regiment Nr.117", dem Leibregiment der Großherzogin, eingeweiht. Dieser Teil der Armee des Großherzogtums Hessen wurde 1697 gegründet, kämpfte mehrfach gegen das Osmanische Reich und Frankreich und war von 1872-1918 in der Mainzer Garnison stationiert. Die Veteranen des Infanterie-Regiments Nr. 117 zogen 1931 antisemitische Parolen skandierend durch Mainz. Dabei wurden sie von NS-Verbänden begleitet, die sich in die militärische Tradition des Regiments einreihen wollten. Die SA-Standarte 117 "Rheinhessen" wurde sogar in Anlehnung an ebendieses militärische Regiment benannt. Bei der Feierlichkeit zur Einweihung des Ehrenmals 1933 stellten sich die Nationalsozialist*innen öffentlichkeitswirksam in die Tradition der alten Herrschaftseliten und präsentierten sich als Einheit mit Adel, Kirche und Militär. Nachdem von Seiten der Veteranen Druck ausgeübt wurde, wurden noch im selben Jahr auch der Platz und die Straße nach dem Infanterie-Regiment benannt. Deswegen heißen Straße und Platz bis heute 117er Ehrenhof. Auch wenn das Infanterie-Regiment nicht in direktem Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus steht, sollte der Platz dennoch umbenannt werden, da die Veteranen antisemitisches Gedankengut vertraten, sich mit Nationalsozialist*innen in der Öffentlichkeit präsentierten und die Nationalsozialist*innen das Regiment nutzten, um mehr Rückhalt in der Gesellschaft zu erreichen.

Carl-Diem-Straße

Carl-Diem-Straße 1, 55130 Mainz, DE

Carl Diem (1882-1962) war deutscher Sportwissenschaftler, -funktionär und –publizist und Organisator der Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Er hat mehrere Ehrungen und Auszeichnungen erhalten, unter anderem das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1953) und den Olympischen Orden des Internationalen Olympischen Komitees (1956). Carl Diem war seit 1913 Generalsekretär des „Deutschen Reichsausschusses für Olympische Spiele“ bzw. von dessen Nachfolgeinstitution dem „Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen“ 1920 fanden auf seine Initiative hin erstmals die „Reichsjugendwettkämpfe“ statt, die Vorläufer der heutigen Bundesjugendspiele. Im selben Jahr wirkte er maßgeblich an der Gründung der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin mit und wurde deren Prorektor. Bei den Olympischen Spielen 1928 und 1932 war Diem Missionschef der deutschen Olympiamannschaften. Wenige Tage vor der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler (am 24. Januar 1933) wurde Carl Diem zum Generalsekretär des Organisationskomitees für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin ernannt. Auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen wurde er im Amt geduldet, obwohl er vom NS-Regime als „politisch unzuverlässig“ eingestuft worden war. Seine Mitgliedschaft in der nationalliberalen „Deutschen Volkspartei“ seit 1922, die jüdische Verwandtschaft seiner Frau und die Tatsache, dass unter Diem als Prorektor und faktischer Leiter der Deutschen Hochschule für Leibesübungen dort vor 1933 zahlreiche jüdische Sportlehrer*innen tätig waren, machten ihn in den Augen der Nationalsozialist*innen verdächtig. Dementsprechend verlor er 1933 seine Stellung als Prorektor der Sporthochschule und als Generalsekretär des „Deutschen Reichsausschusses für Leibesübungen“. Dass er sein Amt als Generalsekretär des Organisationskomitees behalten konnte, lag v. a. an Diems Renommee innerhalb des Internationalen Olympischen Komitees. Eine Entlassung Carl Diems durch das NS-Regime hätte möglicherweise zu einer Absage der Spiele in Berlin geführt. Nach dem internationalen Erfolg dieser Olympischen Spiele wurde Carl Diem zum Direktor des Internationalen Olympischen Instituts in Berlin ernannt. Er trat fortan vor allem als Autor nationalsozialistischer ideologischer und sportwissenschaftlicher Schriften hervor, die zu etwa einem Drittel in nationalsozialistischen Publikationen erschienen. Sein dreibändiges Werk „Olympische Flamme“ gilt als wichtiges Zeitdokument nationalsozialistischer Sportpropaganda. Obwohl Diem, der kein NSDAP-Mitglied war, dem NS-Regime durch die Publikationen seiner Sportpropaganda diente, wurde er noch 1939 von der Reichsverwaltung des NS-Lehrer*innenbundes negativ beurteilt, wegen seines Kontaktes zu Juden*Jüdinnen. Auf der einen Seite belegen Tagebucheinträge Diems aus der NS-Zeit, dass dieser die nationalsozialistische Juden*Jüdinnenverfolgung ablehnte und Kritik am NS-Regime äußerte, aber auf der anderen Seite auch, dass er sich antisemitisch in diesen äußerte. Nach Kriegsbeginn wurde Diem mit der Leitung der Auslandsabteilung des Nationalsozialistischen Reichsbunds für Leibesübungen (NSRL) betraut. Er hatte in dieser Funktion zwar nur wenige Befugnisse, war damit aber in das Machtgefüge des NS-Regimes eingebunden. Im November 1944 trat Carl Diem im Alter von 62 Jahren als Freiwilliger einem Volkssturmbataillon in Berlin bei und wurde zum „Ordonnanzoffizier zur besonderen Verwendung“ ernannt. In dieser Funktion hielt er am 18. März 1945 eine Durchhalte-Rede vor rund 1.200 Volkssturmmännern und Hitlerjugend-Jungen. Reinhard Appel, später Chefredakteur des ZDF, war als Hitlerjugend-Junge Zeuge dieser Veranstaltung. Er berichtete in den achtziger Jahren, Diem habe in seiner Rede zum finalen Opfergang „für Führer, Volk und Vaterland“ aufgerufen. Dem überlieferten Redemanuskript Diems, das allerdings nur Stichworte enthält, ist eine derartige Passage jedoch nicht zu entnehmen. Auch fanden sich keine Zeitzeug*innen, die Appels Schilderungen bestätigten. Dass Diem an jenem Tag eine Propagandarede gehalten hat, steht außer Frage. Carl Diems langjähriger Arzt und Freund, der ehemalige Rektor der Deutschen Sporthochschule Wildor Hollmann, sagte zu den Vorwürfen Reinhard Appels, dass Diem zu dieser Rede gezwungen wurde und auch dessen Familie bedroht wurde. Der Diem-Biograph und Geschichtsprofessor Frank Becker vertritt jedoch die Meinung, dass Diem aufgrund seines Alters die Rede aus gesundheitlichen Gründen hätte ablehnen können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Nach dem Krieg hat sich Carl Diem nie von seinen Äußerungen während der NS-Zeit distanziert oder gar öffentliche Reue gezeigt. Am 12. April 1947 wurde er zum Rektor der von ihm gegründeten Deutschen Sporthochschule in Köln ernannt. Dieses Amt hatte er bis zu seinem Tod 1962 inne. Von 1950 bis 1953 war Diem zusätzlich Sportreferent im Bundesinnenministerium.
Diems Rolle im NS-Regime ist nicht ganz klar. Auf der einen Seite hat er sich gegen die Deportation von Juden und Jüdinnen ausgesprochen, auf der anderen Seite hat er bei den Olympischen Spielen stark mitgewirkt, die für die Nationalsozialist*innen eine große propagandistische Rolle gespielt habe und auch sonst diente er selbst als starke Propagandafigur, durch seine Person selbst und durch Veröffentlichungen. Problematisch ist vor allem seine Propagandarolle zum finalen Opfergang, und dass er sich nie von den Vorwürfen, dem NS-Regime gedient zu haben, distanziert hat.

Adam-Karrillon-Straße

Adam-Karrillon-Straße 1, 55118 Mainz, DE

Adam Karrillon(1853-1938)war Arzt und Schriftsteller und erhielt für seine Heimatromane und Reiseerzählungen diverse Auszeichnungen und Ehrungen. Zu seinem 80. Geburtstag am 12. Mai 1933 wurde von dem "Kampfbund für deutsche Kultur", welcher der NSDAP nahestand, ein Adam-Karillon-Abend in Mainz veranstaltet. Seit diesem Tag gibt es auch die Adam-Karrillon-Straße in Mainz. Der zu dieser Zeit in Wiesbaden lebende Karrillon galt als eher unpolitisch, doch gerade sein Werk "Im Lande unserer Urenkel" ist rassistisch und unterstützt die Kolonialbestrebungen in Togo und Kamerun. Der nachfolgende Ausschnitt beweist dies: "Unsere zwei Dunkelmänner hatten ihr Fuhrwerk im Stich gelassen und waren unsichtbar geworden. Ich dachte anfangs, die Kerle machten der Sicherheit halber noch einmal eine Belastungsprobe am Drahtgeflechte der vor uns liegenden Brücke, um zu erfahren, ob sie uns den Gefallen tun und standhaft bleiben wolle, bis wir drüben wären. Das ganze Schirmgestell sah nämlich elend gebrechlich aus. Doch da überschätzte ich das Vorsichtsgefühl dieser Naturkinder. Bis ein Mensch die Folgen einer Tat in seine Erwägungen mit hereinzieht, muß er schon eine ziemlich hohe Stufe der Kulturentwicklung erreicht haben. Solange diese Wilden die Schienen noch liegen sehen, so fahren sie kühn darauf los, auch wenn der ganze Unterbau hinweggeschwemmt wäre. Lieber gleich direkt in den Abgrund hineingestürzt, als daß man sich vorher lang Gedanken macht, wie man allenfalls mit heiler Haut drum herumkommen könne."
Bezüglich des NS-Regimes äußerte Karillon sich weder regimeunterstützend noch -kritisch. Zusätzlich war er in der Region der einzige Dichter "arischer" Abstammung, weswegen er geehrt wurde. Adam Karrillon war von der Ehrung geschmeichelt, lehnte diese nicht ab und war damit Teil des nationalsozialistischen Systems. Zudem äußerte er sich rassistisch und verherrlichte die Kolonialzeit. Personen, die rassistisches und kolonialistisches Gedankengut nutzen und verbreiten sowie das nationalsozialistische System unterstützen, sollten kein Denkmal in Form einer Straße bekommen.

Immelmannstraße

Immelmannstraße 1, 55124 Mainz, DE

Max Immelmann(1890-1916)wurde zu Zeiten des Nationalsozialismus für Propagandazwecke benutzt und sein Name instrumentalisiert. Er wurde als "Kriegsheld" glorifiziert, weil er am Ersten Weltkrieg als deutscher Jagdflieger beteiligt und als "Flieger-Ass" und als "Adler von Lille" bekannt war. Dafür wurde er mit der höchsten Tapferkeitsauszeichnung Preußens, dem Orden Pour le Mérite, ausgezeichnet. Nach ihm wurde sogar ein Aufklärungsgeschwader, ein Verband der Luftwaffe zur Informationsbeschaffung und militärischen Aufklärung, und zwei Kasernen der Bundeswehr benannt. Max Immelmanns nationalsozialistische Glorifizierung äußerte sich besonders in der Benennung von Straßen und Denkmälern. So auch hier in Mainz. Zunächst war die heutige Immelmannstraße nach Rudolf Heß, dem Stellvertreter Hitlers als Parteivorsitzender der NSDAP, benannt. Dieser fiel jedoch in Ungnade und die Straße wurde 1941 in Immelmannstraße umbenannt. Auch wenn Max Immelmann instrumentalisiert wurde und schon 1916 starb und somit nicht in einen direkten Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus zu bringen ist, wurde er dennoch für nationalsozialistische Propaganda benutzt. Die Glorifizierung von Personen, die für die Zwecke der Nationalsozialist*innen genutzt wurden, die Ehrung durch nund die fehlende kritische Auseinandersetzung damit, lehnen wir ab.

Marseillestraße

Marseillestraße 3, 55122 Mainz, DE

Die Mainzer Marseillestraße ist nach Hans-Joachim Marseille(1919-1942) benannt. Dieser war deutscher Jagdflieger und Offizier im Zweiten Weltkrieg. Er ist auch unter dem Beinamen "Stern von Afrika" bekannt. Über den jungen Jagdflieger wurde während des Zweiten Weltkrieges in Zeitungen und Zeitschriften wie über einen Star berichtet und jeder seiner Abschüsse im nordafrikanischen Kriegsschauplatz wurde gefeiert. Er wurde für die nationalsozialistische Propaganda benutzt und als "Kriegsheld" verklärt. Wegen dieser Instrumentalisierung des jüngsten Hauptmanns der Luftwaffe und der damit verbundenen Aufrechterhaltung rassistischer und kolonialer Denkweise, sollte die Straße umbenannt werden.

Möldersstraße

Möldersstraße 1, 55122 Mainz, DE

Werner Mölders (1913 - 1941) ist als deutscher Jagdflieger und einer der höchstdekorierten Offiziere im Zweiten Weltkrieg für seine militärische Laufbahn bekannt. Er gehörte ab 1932 der Reichswehr und späteren Wehrmacht und ab 1938 des zur Wehrmacht gehörenden Luftwaffen-Verbandes "Legion Condor" an. Diese griff entscheidend in die Kämpfe des Spanischen Bürgerkrieges (1936 - 1939) ein und verhalf so den Putschist*innen unter General Franco zum Sieg über die demokratisch gewählte Regierung Spaniens. Damit war die "Legion Condor" am Aufbau eines faschistischen Systems in Spanien und der fast vier Jahrzehnte währenden spanischen Diktatur unter Francisco Franco beteiligt. Sie nutzte diese Kampfeinsätze außerdem für den Test neuer Waffensysteme und führte den ersten massiven Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung eines europäischen Landes: Mölders hat dabei bei seinen Tiefangriffen den Tod von Zivilpersonen mindestens billigend in Kauf genommen.
Während des Zweiten Weltkrieges galt Mölders als einer der erfolgreichsten deutschen Jagdflieger und spielte als damals angepriesener "Kriegsheld" eine so wichtige Rolle für die NS-Propaganda, dass er Feindflugverbot erhielt, um nicht bei einem Luftgefecht ums Leben zu kommen. Er war zudem der erste Offizier der Wehrmacht, der mit der damals höchsten deutschen Tapferkeitsauszeichnung (den "Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern") von Adolf Hitler ausgezeichnet wurde.
1998 hat der Deutsche Bundestag beschlossen, dass Mölders als Mitglied der "Legion Condor" kein ehrendes Andenken zuteilwerden sollte. Ein nach ihm benannter Einsatzverband der Luftstreitkräfte (Jagdgeschwader) wurde 2005 umbenannt.
In einem Gutachten von 2004 kam auch das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr zu dem Schluss, dass sich Mölders gegenüber dem NS-Regime bis zu seinem Tod durch einen Flugzeugabsturz 1941 stets systemkonform verhielt, dass er sich im Rahmen der NS-Propaganda bereitwillig als sog. "Kriegsheld" inszenieren ließ und dass seine auch nach Kriegsende lange gewürdigten militärischen "Leistungen" nicht losgelöst von den nationalsozialistischen Vernichtungskriegen betrachtet werden können.
Deswegen fordern wir, dass die Möldersstraße in Mainz umbenannt wird. Dies soll ein Zeichen gegen die Glorifizierung einer Person sein, welche vor allem bekannt ist für ihre kriegerischen Tätigkeiten, auch gegen die nichtkämpfende Zivilbevölkerung, für die Beteiligung an bzw. Billigung von Verbrechen der Wehrmacht, die dadurch entstandene Unterstützung des Aufbaus eines faschistischen Systems in Spanien und für ihre Auszeichnungen und Ehrungen durch das NS-Regime.

Udetstraße

Udetstraße 2, 55122 Mainz, DE

Ernst Udet (1896 - 1941) war ein deutscher Jagdflieger mit der zweithöchsten Zahl an Luftsiegen während des Ersten Weltkrieges. Nach dem Ersten Weltkrieg erlangte er durch seine Flugshows sowie seine schauspielerische Tätigkeit als Pilot in Spielfilmen, aber auch durch sein ausschweifendes Privatleben internationale Berühmtheit. Seine Popularität innerhalb und außerhalb der Weimarer Republik, dem demokratischen Deutschland zwischen 1918 und 1933, machte ihn zu einer interessanten Persönlichkeit für die Nationalsozialist*innen. Udet trat auf Drängen des führenden nationalsozialistischen Politikers Hermann Göring am 1. Mai 1933 der NSDAP bei und stand in der Folge für NSDAP-Veranstaltungen und NS-Propaganda bereitwillig zur Verfügung. 1935 trat er in die Luftwaffe ein und ab 1939 übernahm er das hohe Amt des Generalluftzeugmeisters der Wehrmacht. Da er sich diesen organisatorischen Aufgaben vielfach nicht gewachsen sah, griff er vermehrt zum Alkohol, worunter seine Psyche und Gesundheit litten. Göring und Hitler machten Udet persönlich für die deutsche Niederlage in der Luftschlacht um England Ende 1940 verantwortlich und warfen ihm auch die Unzulänglichkeiten der Luftwaffe im Krieg gegen die Sowjetunion vor. 1941 beging Udet Selbstmord.
Zwar wurde Udet vom NS-Regime für ihre Zwecke instrumentalisiert. Dennoch halten wir eine Ehrung seiner Person anlässlich seiner Bedeutung für die NSDAP und für ihre Propaganda für falsch. Neben seiner militärischen Laufbahn und seiner darauf basierenden Popularität sind keine Handlungen oder Errungenschaften bekannt, die ein solch rühmendes Andenken an seine Person legitimieren würden.

Agnes-Miegel-Straße

Agnes-Miegel-Straße 1, 55126 Mainz, DE

Agnes Miegel (1879 - 1964) war eine deutsche Schriftstellerin, deren Leben und Werke von einer starken Nähe zur NS-Ideologie zeugen. Schon 1933 war sie eine von 88 deutschen Schriftsteller*innen und Dichter*innen, die ein "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" für Adolf Hitler veröffentlichen ließen. Aus einem privaten Briefwechsel mit NS-Kulturpolitiker Hans Friedrich Blunck aus dem Jahr 1934 geht ihre tiefe Überzeugung vom Nationalsozialismus sowie ihr rassistisches Weltbild hervor: "Wir werden ein nationalsozialistischer Staat sein - oder wir werden nicht sein! Und das wäre der Untergang nicht nur Deutschlands - es wäre der Untergang des weißen Mannes. - In dem Augenblick als ich das ganz klar erkannte - [...] da war ich bereit, für diesen Glauben nicht nur zu leben - auch (und ich kann sagen, da war ich gewiß) dafür zu sterben." Diese Überzeugung vertrat sie auch nach außen durch ihre Mitgliedschaft im nationalsozialistischen "Deutschen Frauenwerk" ab 1937, in der NS-Frauenschaft ab 1939 und in der NSDAP ab 1940 sowie durch ihre Werke. So veröffentlichte Agnes Miegel Gedichte, in denen Adolf Hitler glorifiziert wird. Nichtsdestotrotz wurde sie nicht nur während der NS-Zeit von Hitler als eine der sechs wichtigsten deutschen Schriftsteller*innen hervorgehoben und mit Preisen wie dem Goethe-Preis ausgezeichnet, sondern auch nach Ende des Dritten Reiches wurden ihr zahlreiche Ehrungen zuteil. So erhielt sie z.B. noch 1959 den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, 1979 gab die Deutsche Bundespost eine Agnes-Miegel-Sondermarke anlässlich ihres 100. Geburtstages heraus und in Bad Nenndorf ist noch immer ein Literaturmuseum nach ihr benannt.
In Mainz wurde die Umbenennung der ehemaligen Goethestraße in die Agnes-Miegel-Straße erst 1971 vorgenommen, nachdem die Eingemeindung des Ortsteils Finthen 1969 eine Straßenumbenennung zur Vermeidung von Namensdopplungen notwendig machte.
So wurde 26 Jahre nach Kriegsende eine Person geehrt, die - wie ihre Schriften unmissverständlich belegen - in ihrem kulturpolitischen Wirken das NS-Regime unterstützte und die sich zudem auch nach Kriegsende nie von ihrer NS-Vergangenheit distanzierte.
Wir halten es für enorm wichtig, dass wir uns als Mainzer*innen nun - 76 Jahre nach Kriegsende - von Agnes Miegel und ihren Werken distanzieren. Nur eine solche Reflexion ermöglicht es, sich den noch immer wirkungsmächtigen rassistischen, diskriminierenden und menschenverachtenden Kontinuitäten bewusst zu werden.

Fritz-Fuchs-Weg

L413 12, 55129 Mainz, DE

Fritz Fuchs (1924 – 1997) war lange Vorsitzender des Turn- und Sportvereins 1897 Mainz-Ebersheim und soll zu NS-Zeiten in Ebersheim Anführer der Hitler-Jugend gewesen sein. Dem Bundesarchiv liegen zwar keine Informationen über Fuchs' Funktion als HJ-Führer vor, es kann jedoch bestätigen, dass Fritz Fuchs am 1. September 1942 im Alter von 18 Jahren der NSDAP beitritt. Eine anhaltende Glorifizierung von Nationalsozialist*innen sowie von Fritz Fuchs kritisieren wir zutiefst und fordern deswegen eine Umbenennung des seit 2004 existierenden Fritz-Fuchs-Wegs in Mainz.
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Fritz-Kohl-Straße

Fritz-Kohl-Straße 1, 55122 Mainz, DE

Fritz Kohl (1889-1969) war Mainzer Kommunalpolitiker, Stadtrat von 1946 bis 1960 (FDP-Fraktion) und gemeinsam mit seinem Bruder Karl Kohl Eigentümer der in der Straße befindlichen Bierbrauerei „Zur Sonne“, welche 1991 geschlossen wurde. Fritz Kohl profitierte von der „Arisierung“ der Mainzer Sonnenbrauerei, die 1938 von der jüdischen Familie Philipp Mayer zu einem von der NSDAP festgelegten, niedrigen Kaufpreis an die Getreide- und Futtermittelfirma Gebrüder Kohl verkauft werden musste. Diese Firma war im Besitz von Fritz Kohl und dessen Bruder Karl. Eine Mitgliedschaft von Fritz Kohl in der NSDAP lässt sich nach Angaben des Bundesarchivs nicht nachweisen. Nach dem Krieg engagierte sich Fritz Kohl in der Mainzer Kommunalpolitik und gehörte zu den Gründern der FDP in Mainz. Er war Vorsitzender des Großhandelsverbandes, Vorsitzender der Mainzer Börse und Verwaltungsrat der Sparkasse.
Notwendig wären eine Entschuldigung und Entschädigungszahlungen an die Vorbesitzer*innen der Brauerei gewesen, da durch die "Arisierung" die vorherigen Eigentümer*innen mutmaßlich nicht selbst die Brauerei verkauften.
Fritz Kohl hat demnach maßgeblich von einer menschenverachtenden Politik und der Ausgrenzung und Ausbeutung der Juden*Jüdinnen durch die Übernahme der Brauerei profitiert. Bis heute gibt es keine Entschädigung, Entschuldigung oder Stellungnahme seinerseits oder von der Brauerei, wodurch er sich nie für seine Taten verantworten musste.

Hindenburgplatz & Hindenburgstraße

Hindenburgstraße 5, 55118 Mainz, DE

Paul von Beneckendorff und von Hindenburg (1847 – 1934) war Generalfeldmarschall im Ersten Weltkrieg und von 1925 bis 1934 Reichspräsident. Im Ersten Weltkrieg war Paul von Hindenburg Chef der Obersten Heeresleitung. 1925 wurde der parteilose Hindenburg dazu gedrängt, bei der Reichspräsidentenwahl zu kandidieren. Er gewann die Wahl und leistete trotz seines Bekenntnisses zur Monarchie den Eid auf die Weimarer Verfassung. 1932 wurde er, unter anderem als Gegenkandidat Adolf Hitlers, wiedergewählt und blieb bis zu seinem Tod Reichspräsident. Nach mehreren Regierungskrisen ernannte er am 30. Januar 1933 den damaligen NSDAP-"Führer" Adolf Hitler zum deutschen Reichskanzler. Trotz seiner anfänglichen persönlichen Abneigung gegen Hitler, den er abschätzig den „böhmischen Gefreiten“ nannte, geriet Hindenburg immer stärker in dessen Einflussbereich. Hindenburg unterzeichnete am 28. Februar 1933 die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“, so genannte „Reichstagsbrandverordnung“, wodurch die Bürger*innenrechte außer Kraft gesetzt, Verfolgung legitimiert und der Weg in die nationalsozialistische Diktatur geebnet wurden. Mit seiner Unterschrift unter das am 23. März 1933 von der erforderlichen Zweidrittelmehrheit des Reichstags verabschiedete Ermächtigungsgesetz, das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, wirkte Hindenburg letztlich an der Beseitigung der Republik mit und daran, dass die gesetzgebende Gewalt de facto vollständig an Adolf Hitler überging.
Das ehemalige Staatsoberhaupt der Weimarer Republik war es, welches Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte. Hindenburg unterzeichnete ebenfalls die Ermächtigungsgesetze, die den Völkermord an mehr als 15 Millionen Menschen ermöglichten. Eine Glorifizierung solch einer Person verurteilen wir, lehnen wir ab und fordern eine sofortige Umbenennung der Hindenburgstraße und des Hindenburgplatzes in Mainz.

Ina-Seidel-Straße

Ina-Seidel-Straße 1, 55129 Mainz, DE

Ina Seidel (1885-1974) war eine deutsche Schriftstellerin. Sie war seit dem 1.7.1934 Mitglied der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) und seit dem 1.10.1937 des RLB (Reichsluftschutzbund), gehörte aber nicht der NSDAP oder der NS-Frauenschaft an. Seidel zeigte als Schriftstellerin offen ihre Bewunderung für Adolf Hitler, etwa in Form hingebungsvoller Geburtstagsgrüße. Ina Seidel beteiligte sich neben dem „Gelöbnis treuester Gefolgschaft“ für Adolf Hitler, das 88 deutsche Schriftsteller*innen und Dichter*innen im Oktober 1933 unterzeichnet haben, auch an den „Treuebekenntnissen“, die die Preußische Akademie der Künste in der NS-Zeit veröffentlichen ließ. Seidel hatte bereits seit Januar 1932 der Akademie angehört und blieb auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialist*innen deren Mitglied, während zahlreiche politisch missliebige oder jüdische Künstler*innen ausgeschlossen wurden. Andere Akademiemitglieder wie Thomas Mann oder Ricarda Huch waren aus Protest gegen die „Gleichschaltung“ der Preußischen Akademie der Künste 1933 ausgetreten. Seidel wurde vom NS-Regime eingeladen und folgte diesen bereitwillig zu Vorträgen und kulturellen Veranstaltungen und veröffentlichte bis weit in die Kriegszeit hinein Texte, die vom NS-Regime propagandistisch genutzt werden konnten. Nach 1945 wurde sie im Entnazifizierungsverfahren allerdings als „unbelastet“ eingestuft, sodass sie weiterhin veröffentlichen durfte. Ina Seidel setzte sich im Gegensatz zu vielen anderen Schriftsteller*innen nun kritisch mit ihrer Rolle im NS-Kulturbetrieb auseinander und ließ in einigen, ursprünglich nicht zur Veröffentlichung vorgesehenen, tagebuchartigen Notizen die Einsicht erkennen, Schuld auf sich geladen zu haben. Ihr eigenes Fehlverhalten verarbeitete sie schließlich in literarischer Form in dem 1959 erschienen Roman „Michaela“. Zu diesem Zeitpunkt war Ina Seidel bereits seit vier Jahren wieder Mitglied der Akademieder Künste in Berlin.
Die „Ina-Seidel-Straße“ in Mainz-Hechtsheim erhielt ihren Namen nach einem von allen Fraktionen getragenen Beschluss des Stadtrats vom 25.03.1992. Es handelte sich um eine neu errichtete Straße, deren Benennung auf einen Vorschlag des Ortsbeirats Mainz-Hechtsheim zurückgeht.

Pfitznerstraße

Pfitznerstraße 1, 55118 Mainz, DE

Die Pfitznerstraße in Mainz wurde 1971 nach Hans Erich Pfitzner (1869 - 1949) benannt, welcher deutscher Komponist, Dirigent und Autor war. Einerseits gilt er als einer der wichtigsten Musiker*innen der deutschen Spätromantik und anderseits ist er für seine antisemitischen Aussagen und offene Unterstützung Adolf Hitlers bekannt. Hans Pfitzner begegnete Adolf Hitler erstmals Anfang 1923 und war direkt von ihm und davon überzeugt, dass er eine bedeutende Persönlichkeit sei. In den folgenden Jahren schrieb er Hitler oftmals Briefe, in denen er ihm seine Treue und seine große Hoffnung, die er in ihn setzte, bekundete.
An den Wahlen und Volksabstimmungen während der NS-Zeit beteiligte er sich mit Aufrufen zur Unterstützung der Politik Hitlers. Zur Reichstagswahl 1936 pries Hans Pfitzner in der Presse „das unsterbliche Verdienst unseres Führers Adolf Hitler, dessen Weitblick zu folgen die einfache Pflicht jedes Deutschen ist“. Seit 1936 war Pfitzner Teil des Reichskultursenats und war dem Hitler-Regime gegenüber loyal.
Schon lange vor 1900 war Pfitzner bekennender Antisemit. Für ihn war die von ihm verabscheute Weimarer Republik das Werk einer "internationalen Verschwörung der Juden[*Jüdinnen]". In seinem Antisemitismus unterschied er paradoxerweise zwischen „guten“, nämlich deutsch-national gesinnten Juden*Jüdinnen, zu denen er teils persönliche Beziehungen pflegte und für die er während der NS-Zeit wiederholt eintrat, und dem Judentum, welches es seiner Meinung nach zu bekämpfen gelte. Hans Erich Pfitzner blieb selbst nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs überzeugter und unbelehrbarer Antisemit. Pfitzner rechtfertigte im Juni 1945 in seiner „Glosse zum II. Weltkrieg“ Hitlers Antisemitismus und hielt ausdrücklich an seiner faschistischen Weltanschauung fest, indem er schrieb: „Das Weltjudentum ist ein Problem und zwar ein Rassenproblem, aber nicht nur ein solches, und es wird noch einmal aufgegriffen werden, wobei man sich Hitlers erinnern wird und ihn anders sehen, als jetzt.“
Im Zuge des Entnazifizierungsverfahrens konnte Pfitzner trotz seiner Unterstützung des NS-Regimes und seines daraus resultierenden Profits einen Freispruch erlangen und wurde von der Spruchkammer in München als „vom Gesetz nicht betroffen“ eingestuft.
Wir sind der Meinung, dass eine Straße in Mainz nicht nach einem bekennenden Antisemiten benannt sein sollte, welcher selbst noch nach dem Ende des Nazi-Regimes den Holocaust rechtfertigte und fordern deswegen die Umbenennung der Pfitznerstraße.

Sauerbruchstraße

Sauerbruchstraße 1, 55126 Mainz, DE

Ferdinand Sauerbruch (1875-1951) war Sanitätsoffizier und einer der bedeutendsten und einflussreichsten Chirurgen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er arbeitete ab 1928 in der Charité in Berlin und sein Wirken dort wurde in einer Staffel der ARD-Serie „Charité“ dargestellt. Es gibt außerdem einen Spielfilm, der 1954 erschien und auf seinen Memoiren basiert.
Sauerbruchs Verhältnis zum NS Staat ist ambivalent und problematisch. Obwohl seine Karriere von dem Naziregime profitierte, wird er vermehrt als Widerstandskämpfer bezeichnet. Sauerbruch war bekanntlich kein Antisemit und weigert sich bis zum Schluss, der NSDAP beizutreten. Er setzte sich für deutsch-jüdische Freund*innen und Bekannte, wie den Künstler Max Liebermann, ein und protestierte gegen die systematische Ermordung von Menschen mit geistigen und körperlichen (Be)hinderungen. Dafür nahm er auch Unannehmlichkeiten und Konflikte mit den nationalsozialistischen Machthabern in Kauf. Beim Reichsjustizminister protestierte er außerdem persönlich gegen das Euthanasieprogramm, welches Todesurteil für hunderttausende psychisch kranke und behinderte Menschen war.
1937 wurde Sauerbruch in den Reichsforschungsrat berufen. Der Reichsforschungsrat unterstützte auch Forschungsprojekte der SS, zu denen die Menschenversuche in den Konzentrationslagern gehörten. Er muss also Kenntnis von Experimenten an KZ-Häftlingen gehabt haben, wodurch er die Taten des NS-Unrechtssystems unterstützt hat. 1942 wurde er zum Generalarzt des Heeres ernannt und bewilligte in dieser Position im selben Jahr Mittel für Senfgasversuche an Häftlingen im KZ Natzweiler.
Als überzeugter Deutschnationalist stellte er sich nicht gegen das System. Vor allem äußerte er seine Folgsamkeit gegenüber dem NS-Regime in mehreren nationalen Reden und Bekenntnissen, insbesondere im Laufe des Jahres 1933 sowie in der Annahme von verschiedenen Ehrungen durch das Dritte Reich äußerte.
Im November 1933 verfasste er einen Brief „An die Ärzt[*innen]schaft der Welt“ mit dem „Bekenntnis der Professor[*innen] an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“, bei dessen Präsentation in Leipzig er einer der Hauptredner*nnen war. 1937 bekannte er sich öffentlich zum Regime und ließ sich von Hitler den Deutschen Nationalpreis verleihen.
Wenn man Sauerbruchs Geschichte betrachtet, stößt man auf einige Widersprüchlichkeiten. Es gibt die einen, die ihn dafür ehren, dass er sich für jüdische Menschen und Menschen mit körperlichen und geistigen (Be)hinderungen eingesetzt hat und die anderen, die betonen, dass er sich trotzdem zum Regime bekannte und Menschenversuche an KZ Inhaftierten bejahte.
1949 wurde er bei einem Entnazifizierungsverfahren freigesprochen verließ im selben Jahr die Charité und starb im Jahre 1951.
Obwohl Ferdinand Sauerbruch ein einflussreicher Chirurg gewesen ist und sich für einige deutsch-jüdische und körperlich und geistig (be)hinderte Menschen eingesetzt hat, legitimiert dies niemals das Ausblenden seines Mitwirkens beim Bejahen von Menschenversuchen an KZ Inhaftieren. Wir verurteilen Sauerbruch vehement dafür, Menschenversuch in Konzentrationslagern bewilligt und nicht gegen diese protestiert zu haben und fordern deswegen die Umbenennung der Sauerbruchstraße Mainz.

Wernher-von-Braun-Straße

Wernher-von-Braun-Straße 3A, 55129 Mainz, DE

Wernher Freiherr von Braun (1912-1977) war Physiker, Raumfahrpionier und Raketeningenieur. Der Entwickler der "V2" (Vergeltungswaffe 2), einer Großrakete mit Flüssigtreibstoff, nahm während des Zweiten Weltkrieges wissentlich hin, dass die von ihm entwickelten Raketen durch Zwangsarbeiter*innen unter menschenunwürdigen Bedingungen serienproduziert wurden. Eigens für die Versorgung der Produktionsstätte mit Arbeiter*innen, wurde 1943 das "Arbeitslager Dora", später als "KZ Mittelbau-Dora" bekannt, als Außenlager des KZ Buchenwald errichtet. In den anderthalb Jahren der Produktion starben zwischen 12.000-20.000 Zwangsarbeiter*innen in den Stollen, in denen sie die Kriegsraketen herstellten. Von Braun leugnete bis in die 1960er Jahre, von den Zuständen in dem Arbeitslager und in der Produktionsstätte gewusst zu haben. Als immer mehr Informationen über die furchtbaren Zustände an die Öffentlichkeit gelangten, gab er zu, von den menschenverachtenden Arbeitsbedingungen informiert gewesen zu sein. Er leugnete jedoch weiterhin Kenntnisse über Tötungen und Gräueltaten gehabt zu haben, was aufgrund der Quellenlage jedoch unwahrscheinlich ist. Außerdem behauptete von Braun nach Kriegsende, nichts von den Vorgängen in jeglichen Konzentrationslagern gewusst zu haben. Dies scheint jedoch unglaubwürdig: „Ich habe nie gewusst, was in den Konzentrationslagern vor sich ging. Aber ich hatte einen entsprechenden Verdacht und in meiner Position hätte ich es herausfinden können. Ich tat es nicht und verachte mich selbst dafür“. 1966 drückte er sein Bedauern über die Zustände im KZ Mittelbau-Dora aus, tätigte jedoch auch die folgende, dem Bedauern widersprechende Aussage: „Aber Krieg ist Krieg, und da mein Land sich im Krieg befand, hatte ich die Überzeugung, dass ich nicht das Recht hatte, weiterhin moralische Gesichtspunkte ins Feld führen zu dürfen. Meine Pflicht war, den Krieg gewinnen zu helfen, ob ich nun Sympathie für die Regierung hatte oder nicht. Ich hatte keine.“
Auch wenn Wernher von Braun nicht direkt für die Arbeiter*innen zuständig war, trägt er dennoch eine Mitschuld am Leid der Zwangsarbeiter*innen.

Außerdem war von Braun während seiner Zeit als Doktorand in Berlin Mitglied der elitären Reiter-SS. Diese SS-Organisation wurde nach dem Krieg als einzige als nicht verbrecherisch eingestuft. 1934, nach Abschluss seiner Promotion, stieg Wernher von Braun wieder aus der Reiter-SS aus. 1938 trat er dann in die NSDAP ein und wurde 1940 wieder Teil der SS, in der er schnell zum Sturmbannführer aufstieg. Dies tat er wohl vorrangig, um seine angesehene Position und seine Karriere in der Raketenforschung nicht zu gefährden. Er wurde zudem 1942 aufgrund seiner kriegsrelevanten Arbeit von Hitler persönlich zum Professor ernannt.
Von Braun war vermutlich aufgefordert worden der NSDAP und der SS beizutreten. Es wäre dennoch möglich gewesen dies abzulehnen. Die Annahme liegt nahe, dass er sich aus Karrieregründen für einen Eintritt in die nationalsozialistische Partei und die SS entschied.

Als die US-Amerikaner*innen in Deutschland eintrafen, begab sich von Braun bewusst in US-amerikanische Gefangenschaft. Dort bot er seine Dienste als Raketeningenieur an und wurde in den Dienst der US-Armee gestellt. 1955 bekam er die US-amerikanische Staatsbürger*innenschaft, arbeitete später für die NASA und war maßgeblich an der bemannten Mondlandung im Jahr 1969 beteiligt.

Wernher von Braun nahm wissentlich hin, dass für die Produktion der von ihm entwickelten Raketen Menschen litten und starben. Er äußerte sich nicht systemkritisch, um seine führende Position zu behalten und profitierte weiter von der Gefangenschaft und der Anstellung bei den US-amerikanischen Truppen. Er ist ein Profiteur des NS-Regimes und tolerierte Menschenrechtsverbrechen, die in seinem Namen standfanden, was jegliche Glorifizierung seiner Person delegitimiert.