Marie Heim-Vögtlin

Stadtführung Seminarstrasse 29, 8057 Zürich, CH

Marie Heim-Vögtlin ist am 7.Oktober 1845 im Kanton Aargau zur Welt gekommen. Sie war ein sehr zielstrebiges und fleissiges Mädchen und ihr grösster Wunsch war es Ärztin zu werden, was zu der damaligen Zeit sehr problematisch war. Trotz all den Herausforderungen hat sie es geschafft. Wir nehmen euch mit und erzählen euch Maries Geschichte.

Autor: Urya Fazili

3 Stationen

Universität Zürich

Rämistrasse 71, 8006 Zürich, CH

Marie Heim-Vögtlin ist 22 Jahre alt, als sie sich mit dem Wunsch eines Medizinstudiums an ihren Vater wendet. Dieser ist zu Beginn schockiert und stellt sich dagegen, doch nach und nach bröckelt seine anfängliche Abwehr und er unterstützt sie tatsächlich in ihrem Vorhaben. Damit sie 1868 das Studium beginnen kann, muss er eine schriftliche Bewilligung einholen. Doch weshalb traf Maries Ziel, welches aus heutiger Sicht zwar ehrgeizig, aber keinesfalls unpassend erscheint, auf so grossen Widerwillen in der Gesellschaft? Ein Grund dafür ist, dass einer der einzigen möglichen Berufe für Frauen bis ca. 1874 der der Lehrerin war, und sie auch erst in diesem Jahr die Zulassung zum Unterrichten erhalten haben. Somit hatten Frauen trotz weniger Ausbildungsmöglichkeiten keine oder wenige Berufsperspektiven. Aus diesem Grund entschieden sich viele gegen eine Ausbildung, da sich eine solche im damaligen Kontext wirtschaftlich und finanziell nicht rentiert hätte. 1870 meldeten sich sowohl Männer als auch Frauen für den ersten eidgenössischen Telegraphenkurs, welcher als Folge zur Einführung der Lehre als Postbeamt*in angeboten wurde, an. Da sich die Männer aber von der überdurchschnittlich guten Leistung der Frauen in diesem Kurs bedroht gefühlt hatten, wurden diese 1888 schliesslich wieder aus dieser Ausbildungsmöglichkeit ausgeschlossen. Auch der soziale Stand der Frau in der Schweizer Gesellschaft im 19. Jahrhundert ist zu beachten: einher mit der Gründung des Bundesstaates wurden die Geschlechterrollen neu ausgelegt und rechtlich stärker definiert. Mit der politischen Integrierung aller Männer, wenn auch nicht in allen Bevölkerungsschichten gleich stark, kommt die völlige Ausschliessung aller Frauen. Zugleich wird eine Idealvorstellung der „Schweizer Hausfrau“ beworben. Der Mann ist zuständig für das Einkommen und beschäftigt in der Erwerbsarbeit, während der Frau der Haushalt und die Kinderbetreuung zugeteilt wird. Dies kommt zusätzlich zum Ausdruck bei Betrachtung des Lerninhalts an Mädchenprimarschulen im 19. Jahrhundert, an welchen Unterrichtsfächer wie Handarbeit viel Platz einnahmen. So wurde den Mädchen von Beginn an beigebracht, wie ein Haushalt «richtig» zu führen war. Zusammenfassend kann man also sagen, dass eine Vielzahl von einerseits gesellschaftlich sozialen, wie auch ökonomischen Faktoren Frauen das Erlangen von höherer Bildung massgeblich erschwerten. Zurück zu Marie an der Universität Zürich. Gerade auch während des Studiums hatte sie, wie auch ihre Kommilitoninnen, mit Diskriminierung und Widerstand von Mitstudenten und Professoren zu kämpfen. Die Vorstellung, Frauen seien rein körperlich zu schwach für ein Studium und würden den hohen Ansprüchen der Universitäten nicht genügen, war vorherrschend. Dies sollte sich auch in Leipzig und Dresden, wo sie 1873 nach bestandenem Examen ihre Assistenzzeit ablegte und sich zur Gynäkologin spezialisierte, fortführen. Schliesslich promovierte sie 1874 und wird zur ersten Dr. med. in der Schweiz. Auf die erste Frau Doktor wartet viel Grosses.
(Interview von Sophie und mir)

Praxis

Hottingerstrasse 25, 8032 Zürich, CH

Noch im selben Jahr ihrer Promovierung zur Ärztin an der Universität Zürich öffnete Marie Heim-Vögtlin 1874 ihre eigene Praxis an der Hottingerstrasse 25 im Zürcher Stadtquartier Hottingen. Wiederum musste sie gegen vielerlei Widerstände ankämpfen, da ihr die Genehmigung für eine solche Artpraxis zuerst verweigert wurde. Schliesslich musste sich auch in dieser Angelegenheit ihr Vater für sie aussprechen. In ihrer Praxis behandelte sie ausschliesslich Frauen und Kinder und war auch in sozialer Hinsicht immer für ihre Patientinnen und Patienten da; so konnte sie sich schnell grosses Ansehen und Beliebtheit über die Kantonsgrenzen hinweg aufbauen. An Maries Beispiel wird die Wichtigkeit von weiblichen Gynäkologinnen und allgemein Ärztinnen, wie auch die von Anlaufstellen und Austauschplattformen für Frauen von Frauen deutlich. Um sich zur Frauenärztin ausbilden zu lassen, reiste Marie Heim-Vögtlin 1873 nach Deutschland, wo sie zuerst in Leipzig ein weiteres Semester verbrachte und unter anderem von dem Mediziner Wilhelm His (1831-1904) und dem Spezialisten für Frauenkrankheiten, dem Gynäkologen Carl Siegmund Franz Credé (1819-1892) lernte. Letzterer hatte seit 1856 eine gynäkologische Klinik an der Universität Leipzig eingerichtet . Anschliessend an dieses Auslandsemester in Leipzig arbeitete sie fast ein ganzes Jahr am grossen Frauenspital in Dresden als Assistentin von Geheimrat Winkel und schrieb dort ebenfalls ihre Dissertation zum Thema «Über den Befund der Genitalien im Wochenbett». Zurück in Zürich wollte Marie ihre eigene Praxis eröffnen. Doch dies wurde ihr anfangs von den zuständigen Behörden verweigert, da man einer Frau keine eigene Praxis zusprechen wollte. Erst durch erneutes Einschreiten ihres Vaters, der seinen Einfluss spielen lassen musste, wurde ihre Anfrage bewilligt und sie konnte die Frauenpraxis 1874 öffnen. Marie Heim Vögtlin war die erste Gynäkologin Europas. Folglich gab es bis dahin ausschliesslich männliche Frauenärzte in der Schweiz. Nun stellt sich die Frage, weshalb es weibliche Frauenärzte brauchte und braucht. Als erstes ist es wichtig zu erwähnen, dass der weibliche Körper in der Medizin lange nur aus der männlichen Perspektive betrachtet wurde, was die Frau viel mehr zu einem Objekt als einem Subjekt machte. Ein weitverbreitetes Frauenbild in der Medizin verdeutlicht Johann Christian Gottfried Jörg (1779-1856), ein Frauenarzt. Er äusserte sich unter anderem über die Überlegenheit des Mannes in sozialer, wie auch körperlich Hinsicht. Der Mann sei das bessere Geschlecht, sein Körper vollkommen und wird zur Norm erklärt. Der Frauenkörper weicht somit von dieser Norm ab. Marie Heim-Vögtlin machte folglich einen essenziellen Schritt in Richtung Selbstbestimmung des eigenen Körpers und trug zu einem Umschwenken der männlichen auf die weibliche Sicht, respektive einer Ergänzung dessen in der Gynäkologie bei. Die Selbstbestimmung unserer Körper als Frauen ist bis heute ein sehr wichtiges Thema. Maries Heim-Vögtlins Praxis wurde nach kurzer Anfangszeit bereits sehr erfolgreich. Ihre Tage waren gefüllt mit Krankenbesuchen und Sprechstunden. Nicht nur für medizinische und gesundheitliche Anliegen und Probleme standen ihre Türen für Frauen und Kinder von überall Tag und Nacht offen, sondern auch in sozialer Hinsicht war ihre Praxis eine Anlaufstelle. Sie war nicht nur Ärztin, sondern auch Freundin und Ansprechperson. So reisten auch viele Ausländerinnen zu der beliebten Gynäkologin nach Zürich, welche sich auch über die Kantonsgrenzen hinweg einen tadellosen Ruf erarbeitet hatte.
Daraus kann geschlossen werden, wie gross das Bedürfnis nach weiblichen Ärztinnen und besonders Gynäkologinnen zu dieser Zeit war und die Wichtigkeit und Bedeutung von Marie Heim-Vögtlins Arbeit betont werden. Damals wie auch heute sind Anlaufstellen für Frauen von Frauen, wo ihnen Raum gegeben wird, sich auszutauschen und zusammenzuschliessen von ungemeiner Wichtigkeit. Nicht zuletzt soll erwähnt werden, dass sie trotz Familie ihren Beruf als Ärztin niemals vernachlässigte, und somit zeigte, dass Karriere und Familie durchaus unter einen Hut zu bringen war. Auch in dieser Hinsicht wurde sie zum Vorbild vieler Frauen zu dieser Zeit und ist es auch heute noch.

Die Pflegi

Carmenstrasse 45, 8032 Zürich, CH

Mit einer ihrer jüngeren Arztkollegin, Anna Heer, der ersten Schweizer Chirurgin, plante Marie Heim-Vögtlin die erste Frauenklinik der Schweiz mit einer Krankenschwesterschule zu gründen. Zwei Jahre später, am 30. März im Jahr 1901, eröffneten sie die Pflegerinnenschule an der Carmenstrasse 40 am Zürichberg. Daher kommt auch der Name «Pflegi». In der «Pflegi» wurden hauptsächlich nur Frauen behandelt. Anna Heer war die Klinikleiterin sowie auch die chirurgische Chefärztin. Marie Heim-Vögtlin war die Leiterin der Kinderabteilung und kümmerte sich um die Kleinkinder und die Neugeborenen. Es gab noch weitere Ärztinnen, die Geburtshilfe leisteten. Ausserdem bot die «Pflegi» eine dreijährige professionelle Ausbildung zur Krankenpflegerin für junge Frauen ab 19 Jahren an. Mit den Jahren gewannen sie mehr an Erfahrungen und konnten sich weiterentwickeln, daher wuchsen Schule und Spital in den nächsten zehn Jahren stetig. Die «Pflegi» war nicht nur eine Klinik, in der Frauen medizinisch behandelt wurden, sondern auch ein Ort, wo Frauen voneinander lernen konnten und aufgeklärt wurden.