NS-Zwangsarbeit im Leipziger Stadtteil Reudnitz

Stadtführung Albert-Schweitzer-Straße 02, 04317 Leipzig, DE

In der NS-Zeit war Reudnitz das infrastrukturelle Zentrum der Zwangsarbeit in Leipzig - für Ankunft, Registrierung, Verteilung, Deportation. Viele Gebäude zeugen noch von dieser Zeit, ihre Geschichte ist aber meist nicht bekannt. Genauso wenig das Ausmaß der Zwangsarbeit, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen und ihr mutiger Widerstand.

Autor: Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig

Gedenkstätte Zwangsarbeit in Leipzig - Zwangsarbeit in Leipzig

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Gedenkstätte Zwangsarbeit in Leipzig

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8 Stationen

Zwangsarbeit im Nationalsozialismus (Reichpietschstraße 57)

Reichpietschstraße 57, 04317 Leipzig, DE

Hier, wo heute der Lene-Voigt Park ist, war bis vor ca. 30 Jahren der Eilenburger Bahnhof. Mit der Ankunft am Eilenburger Bahnhof begann für die meisten Zwangsarbeiter:innen nach einem schrecklichen Transport die Zwangsarbeit in Leipzig.

Zwangsarbeit gab es im Nationalsozialistischen Deutschland von 1939 bis 1945. Im Zweiten Weltkrieg fehlten der deutschen Kriegswirtschaft zahlreiche Arbeitskräfte. Daher wurden massenhaft ausländische Arbeitskräfte eingesetzt, die, genauso wie die Rohstoffe aus den besetzten Ländern ausgebeutet und ins Deutsche Reich gebracht wurden.
Zwangsarbeiter:innen mussten gegen ihren Willen arbeiten und konnten ihre Arbeitsverhältnisse nicht kündigen. Die meisten Zwangsarbeiter:innen kamen als zivile Arbeitskräfte ins Deutsche Reich. Sie wurden in den besetzten Ländern von den Dienststellen der deutschen Arbeitsämter unter Druck gesetzt und mit falschen Versprechungen angeworben. Viele wurden aber auch gewaltsam rekrutiert und verschleppt. Die Wehrmacht ging dabei in Dörfern der besetzten Gebiete auf Menschenjagd, trieb die Leute so wie sie gerade auf dem Feld, im Geschäft oder auf der Straße waren zum Bahnhof und deportierte sie ins Deutsche Reich.
Außerdem mussten Soldat:innen feindlicher Armeen, die von der deutschen Wehrmacht gefangen genommen worden waren, als Kriegsgefangene Zwangsarbeit verrichten. Auch sogenannte „Arbeitsjuden“, Strafgefangene und KZ-Häftlinge wurden als billige Arbeitskräfte missbraucht.

Mehr als 20 Millionen Männer, Frauen und Kinder aus ganz Europa, aber auch aus den französischen Kolonien, wurden von den Nationalsozialisten zur Arbeit für die deutsche Wirtschaft gezwungen. Fast 13 Millionen von ihnen leisteten Zwangsarbeit im Deutschen Reich, die Übrigen in den von Deutschland besetzten Ländern.
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, als der Mangel an Arbeitskräften immer größer wurde, war fast jede vierte Arbeitskraft in der deutschen Wirtschaft Zwangsarbeiter:in. Ihr Einsatz wurde zum Alltag der deutschen Bevölkerung – Kontakte waren unvermeidbar und alltäglich. NS-Zwangsarbeit war ein öffentliches und sichtbares Verbrechen.

Zwangsarbeit hatte wirtschaftliche Gründe, aber auch ideologische. Sie gründete in der nationalsozialistischen Rassenideologie. Je nach Herkunftsland und „Rassezugehörigkeit“ unterschieden sich die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiter:innen. Die sogenannten Ostarbeiter:innen standen in der rassistischen Hierarchie auf der untersten Stufe. Als Ostarbeiter:innen wurden Menschen aus den ehemaligen Gebieten der Sowjetunion bezeichnet. Sie hatten die schlechtesten Lebens- und Arbeitsbedingungen, die ab Februar 1942 durch die Ostarbeitererlasse geregelt wurden.

Zwangsarbeiter:innen arbeiteten in allen Bereichen des wirtschaftlichen Lebens – in der Land- und Bauwirtschaft, in der Industrie, im öffentlichen Sektor, in Handwerksbetrieben und Privathaushalten. Sie wurden in Lagern und Baracken untergebracht, bekamen unzureichende Ernährung und medizinische Versorgung. Sie wurden an ihrer Rückkehr gehindert und rassistisch herabgewürdigt.

Leipzig war damals mit 700.000 Einwohner:innen eine der größten Städte Deutschlands und ein wichtiger Rüstungs- und Wirtschaftsstandort. Ab Oktober 1939 gab es hier die ersten Zwangsarbeiter:innen. 75.000 wurden in der Stadt offiziell registriert. Es waren Menschen aus ca. 30 verschiedenen Nationen, 1/3 davon waren sogenannte Ostarbeiter:innen.
Auch in Leipzig war Zwangsarbeit ein Massenphänomen. In allen möglichen wirtschaftlichen Bereichen – in kleinen Betrieben, städtischen und kirchlichen Einrichtungen, in Firmen oder als Haushaltshilfen – gab es Zwangsarbeiter:innen. Die meisten mussten in der Rüstungsindustrie arbeiten.
Überall in der Stadt wurden Lager errichtet. In Leipzig gab es mindestens 500, viele befanden sich direkt auf den Firmengelände. Es gab aber auch noch andere Unterkünfte – in Gasthäusern, Hotels und Festsälen, Schulen und Turnhallen oder Sportzentren.

Ab 1943 wurden in Leipzig und Umgebung sechs Außenlager des KZ Buchenwald errichtet. Die Mehrzahl der Gefangenen waren Frauen und Mädchen, die für die Rüstungsindustrie arbeiten mussten. Dazu zählte das größte Frauenaußenlager des KZ Buchenwald „HASAG Leipzig“ der Hugo-Schneider-AG.

Für die deutsche Bevölkerung gab es regelmäßig Merkblätter und Rundschreiben vom Bürgermeister zum Umgang mit Zwangsarbeit: Zwangsarbeiter:innen sollten so behandelt werden, dass sie in vollem Umfang für die Kriegswirtschaft arbeiten können, aber nicht besser als deutsche Arbeitskräfte. Sie sollten von der deutschen Bevölkerung getrennt werden, aber auch die deutsche Bevölkerung musste Abstand halten. Das galt vor allem für Frauen: „Deutsche Frauen, die in Beziehungen zu Kriegsgefangenen treten, schließen sich von selbst aus der Volksgemeinschaft aus und erhalten ihre gerechte Bestrafung.“
Es gab Konflikte und verschiedene Meinungen zu Zwangsarbeit. Und es gab unterschiedliche Umgangsweisen mit Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter:innen. Unter der Leipziger Bevölkerung sorgte der Zwangsarbeitseinsatz für Unmut. Es herrschte Angst den Arbeitsplatz zu verlieren und ein Gefühl der persönlichen Benachteiligung, weil die Freizeiteinrichtungen und Schulen nicht mehr zur Verfügung standen. In Schreiben von deutschen Soldaten oder Leipziger Bewohner:innen an die Stadtverwaltung oder direkt an die Gestapo wurde häufig ein allzu lockerer Umgang zwischen Deutschen und ausländischen Zwangsarbeiter:innen kritisiert. Der stellvertretender Oberbürgermeister Haake ging so weit, dass er durch die hohe Anzahl an ausländischen Zwangsarbeiter:innen den Untergang des deutschen Volkes befürchtete. Weil er die Notwendigkeit der Zwangsarbeit als Ganzes infrage stellte, wurde er zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Denn Zwangsarbeit war für die deutsche Kriegswirtschaft unerlässlich.

Dieser Rundgang ist erstellt im Rahmen der Aufarbeitung der Geschichte von Zwangsarbeit in Leipzig durch die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig. Die Gedenkstätte erinnert an die Opfer, das Unrecht und die Geschichte des NS-Zwangsarbeitseinsatzes in Leipzig und dessen Folgen. Am Standort der HASAG, dem ehemals größten Rüstungsbetrieb Sachsens, erinnert sie exemplarisch an den Arbeitseinsatz tausender ziviler Zwangsarbeiter:innen, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge während des Zweiten Weltkriegs im städtischen Raum.
Die Gedenkstätte steht als Anlaufstelle für ehemalige Zwangsarbeiter:innen und deren Angehörige zur Verfügung, erforscht noch unbeleuchtete Aspekte des Themas und sammelt historische Zeugnisse.
Die Dauerausstellung wird ergänzt durch öffentliche Veranstaltungen, Führungen, Stadtteilrundgänge und Bildungsangebote. Das alles finden Sie auf unserer Internetseite: https://www.zwangsarbeit-in-leipzig.de/zwangsarbeit-in-leipzig

Die Gedenkstätte hat eine digitale Karte zu Orten der Zwangsarbeit in Leipzig erstellt: https://www.zwangsarbeit-in-leipzig.de/karte

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Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig
Permoser Str.15
04318 Leipzig
Tel: +49 341 - 235 2075
www.zwangsarbeit-in-leipzig.de
info@zwangsarbeit-in-leipzig.de

Öffnungszeiten:
Montag bis Donnerstag
10 Uhr – 18 Uhr (oder nach Vereinbarung)
Der Eintritt ist frei.

Anfahrt
Tram 3: Permoser / Torgauer Str. (Wissenschaftspark)
Bus 90: Permoser / Torgauer Str.

Gemeinschaftslager Wika (Eilenburgerstraße 20a)

Eilenburger Straße 20A, 04317 Leipzig, DE

Das Gebäude in der Eilenburgerstraße 20a ist ein ehemaliges Lager der Wirtschaftskammer Leipzig, das "Gemeinschaftslager WiKa". Im Nationalsozialismus wurde die Wirtschaft zentralisiert und durch die Wirtschaftskammer einheitlich gelenkt.

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion erreichte die Zwangsarbeit ein nie gewesenes Ausmaß und die bisherige Infrastruktur für Zwangsarbeit im Deutschen Reich war überlastet. Deshalb begann die Wirtschaftskammer ab 1942 eigene Lager für Zwangsarbeiter:innen zu errichten.

In Leipzig hatte die Wirtschaftskammer drei Lager: das Gemeinschaftslager WiKa in der Eilenburgerstraße 20a, ein Lager in der Johannisgasse 10 und das Gemeinschaftslager Südbräu auf dem heutigen Feinkost-Gelände in der Braustraße 28.

Das Gemeinschaftslager WiKa in der Eilenburgerstraße 20a war ein Lager für verschiedene kleine und große Betriebe. Dort waren 630 Zwangsarbeiter untergebracht, die in 85 verschiedenen Betrieben arbeiteten. Als Lager wurden der erste, zweite und dritte Stock und ein Kellerraum des Gebäudes genutzt, sowie ein Hof-Gebäude.

Die meisten Zwangsarbeiter im Gemeinschaftslager WiKa kamen aus Westeuropa: Italiener, Flamen, Franzosen, Wallonen, Niederländer und Kroaten. Aber es gab auch einige aus Polen, Lettland und der Ukraine. Als Aufsicht der Lagerinsassen gab es nur drei Lagerführer und zwei Dolmetscher.

Weil diese Zwangsarbeiter in der rassistischen Hierarchie weiter oben standen, hatten sie bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen als Ostarbeiter:innen. Alle der Insassen durften eigenständig zur Arbeitsstelle gehen und sich in der Stadt frei bewegen. In ihrer Freizeit konnten sie Kneipen besuchen – allerdings zu den Zeiten, in denen die Deutschen nicht da waren und geschlechtergetrennt. Sie bekamen Lohn und Krankengeld. Verheiratete haben täglich ein Trennungsgeld in Höhe einer Reichsmark bekommen. Für ihre Unterkunft und Verpflegung im Lager mussten sie bezahlen, auch wenn sie krank waren. Bei der Firma Karl Krause waren es täglich 1,50 Reichsmark, die genauso hoch waren wie das Krankengeld.

Ostarbeiter:innen hatten kaum Lohn und keine Versicherung. Ihr Lohn wurde so berechnet, dass vom Lohn eines deutschen Arbeiters die Sozialabgaben, Unterkunft- und Verpflegungskosten und die Ostarbeiterabgabe abgezogen wurde. Der tatsächlich ausgezahlte Lohn war sehr gering. Die Ostarbeiterabgabe war eine spezielle Steuer, die verhindern sollte, dass Zwangsarbeiter:innen, vor allem Ostarbeiter:innen die deutschen Arbeitskräfte vollständig aus den betreffenden Berufen verdrängten. Die Abgabe wurde zum 30. Juni 1942 mit der „Verordnung über die Einsatzbedingungen der Ostarbeiter“ eingeführt.

Zwangsarbeiter:innen aus Belgien, Niederlanden oder Frankreich hatten Urlaub und durften in ihre Heimat fahren.
Das wurde ab 1943 allerdings strenger gehandhabt. In einem geheimen Brief des Arbeitsamtes an Leipziger Firmen steht:
„Geheim! Urlaub für Ausländer: Das Arbeitsamt hat mitgeteilt, dass auch für Belgier und Holländer eine Urlaubssperre verhängt werden kann, falls die Firma der Ansicht ist, dass die Ausländer der deutschen Sache schaden könnten oder nicht mehr aus dem Urlaub nach Deutschland zurückkehren könnten.“ (Staatsarchiv Leipzig; 20788; Karl Krause; Nr. 0076. S. 153)
Es war ein gängiges Phänomen, dass Zwangsarbeiter:innen nicht mehr aus dem Urlaub zurückkamen und in ihrem Heimatland untertauchten.

Die Universitätskinderklinik Leipzig - Kindereuthanasie (Rubensstraße 1)

Rubensstraße 1, 04317 Leipzig, DE

Auf diesem Gelände, wo heute das Ronald McDonald Haus steht mit der Mauer und den Backsteingebäuden weiter hinten, befand sich seit 1888 eine Einrichtung der Universität Leipzig zur Behandlung von kranken Kindern und Jugendlichen.

Im Nationalsozialismus wurden dort 1940 eine sogenannte Kinderfachabteilung eingerichtet, in der unter dem Deckmantel der Kinder-Euthanasie geforscht wurde. Kinder-Euthanasie ist die verharmlosende Bezeichnung für die organisierte Tötung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung oder auffälligem Verhalten. Durch die Kinder-Euthanasie wurden von 1939 bis 1945 in etwa 37 sogenannten Kinderfachabteilungen mindestens 5.000 Kinder und Jugendliche ermordet.

Die Kinder-Euthanasie ging von der Aktion T4 zur sogenannten „Vernichtung von lebensunwertem Leben“ aus. Dem zugrunde lag die nationalsozialistische Rassenideologie. „T4“ ist die Abkürzung für die Adresse der damaligen Zentraldienststelle in der Tiergartenstraße 4 in Berlin.

Ab 1939 wurden Ärzte, Hebammen und Krankenhäuser verpflichtet, Kinder und Neugeborene mit Einschränkungen dem Gesundheitsamt zu melden. Ein Urteil über Leben und Tod eines Kindes wurde nur anhand eines solchen Meldebogens getroffen. Die Kinder wurden zunächst für medizinische Forschung genutzt. Getötet wurden sie anschließend mit dem sogenannten „Luminalschema“: Den Kindern wurde zeitlich gestaffeltes und überdosiertes Schlafmittel in das Essen gemischt oder gespritzt, das einen scheinbar natürlichen Tod verursachte.
Es gab auch die Tötung durch Nahrung ohne Vitamine. Das Essen wurde dabei so lange gekocht, dass keine Nährstoffe und Vitamine mehr enthalten waren. Die Kinder sahen nicht ausgehungert aus, aber starben an Unterernährung.
Auch an den Leichen wurden medizinische Versuche unternommen.

Der Direktor der Kinderfachabteilung in Leipzig-Reudnitz war Werner Catel. Werner Catel war bei der Kinder-Euthanasie führend beteiligt. Er war einer der drei T4-Reichsausschuss-Gutachter für das gesamte Deutsche Reich, die anhand der Aktenlage über Leben oder Tod der Kinder entschieden.

Am 4. Dezember 1943 wurde die Kinderklinik durch einen Bombenangriff schwer beschädigt. Danach wurde die Kinder-Euthanasie in der Heilanstalt Leipzig-Dösen bis 1945 weitergeführt.

1945 veranlasste Werner Catel alle Akten, Bücher und Anleitungen zur Kinder-Euthanasie zu vernichten, weshalb Zahlen schwer rekonstruierbar sind. In Leipzig sind bisher 500 Kinder-Euthanasie Morde nachgewiesen.
Nach dem Krieg wurde Werner Catel als unbelastet eingestuft und entlastet. Bis 1954 war er Leiter einer Kinderheilstätte in Hessen und führte dort Experimente an Tuberkulose kranken Kindern weiter, u. a. mit Gift und geringer Vitamin C Zufuhr, wo es zu mindestens vier Todesfällen kam. 1954 wurde er Professor für Kinderheilkunde an der Universität Kiel und rechtfertigte die Tötung von Kindern mit Behinderung. Wegen wachsendem öffentlichen Druck wurde er 1960 emeritiert.

Beim Wiederaufbau nach dem Krieg wurden auf diesem Gelände neue Gebäude errichtet. 2002 wurde das Ronald-McDonald-Haus eröffnet, in dem Familien schwerkranker Kinder während der Klinikbehandlung gemeinsam untergebracht werden können, um so die emotionale Belastung für alle zu reduzieren.
2007 zog das Kinderzentrum in die Uniklinik in die Liebigstraße um.

Auf der Internetseite finden sich mehr Informationen und Material zur Kindereuthanasie in Leipzig:
http://www.die-wiese-zittergras.de/

Die Sternburgbrauerei und die ehemalige Riebeckbrauerei (Oststraße 29)

Oststraße 29, 04317 Leipzig, DE

Auf dem Firmengelände der heutigen Sternburg Brauerei war von 1862 bis zur Wende die Riebeckbrauerei. Die Sternburg Brauerei war von 1822 bis 1992 in Lützschena.

Das Zwangsarbeitslager der Riebeckbrauerei befand sich in der Mühlstraße 13. Weitere Informationen über Zwangsarbeit in der ehemaligen Riebeckbrauerei sind nicht bekannt. Aber die Riebeckbrauerei zeigt deutlich, wie sich der Nationalsozialismus auf Unternehmen auswirkte.

Im Nationalsozialismus wurde die Wirtschaft zentralisiert und von der Wirtschaftskammer einheitlich gelenkt.
1933, gleich zu Beginn des Nazi-Regimes, begann auch im wirtschaftlichen Bereich die sogenannte „Arisierung“ und politische “Säuberung“. Alle Unternehmen mussten eine „Bescheinigung eines deutschen Unternehmens“ einreichen.
Trotz diesem Nachweis hatte die Riebeckbrauerei 1936 den Ruf ein „nicht rein arisches Unternehmen“ zu sein, weil es einen großen Aufsichtsrat mit vielen Bankvertretern hatte. Bei diesem Vorurteil handelte es sich um ein antisemitisches Ressentiment.

1939 wurde die Betriebsordnung nach der NS-Ideologie ausgerichtet: Es war die Rede von Gemeinschaft und Kameradschaft im Betrieb, ein starker Arbeitswille wurde im nationalen Interesse gefordert, Arbeitgeber und Arbeitnehmer wurden ersetzt durch Betriebsführer und Gefolgschaft.

Der Krieg wirkte sich auch auf die Wirtschaft aus: Betriebe mussten Teile ihrer Infrastruktur abgeben (die Riebeckbrauerei beispielsweise zwei LKWs), Angestellte wurden in die Rüstungsindustrie oder an die Front versetzt und einige Industriezweige oder Zweigstellen wurden aufgrund von Rohstoffmangel stillgelegt.

Im Dezember 1945, also nach dem Ende des Nationalsozialismus, gab es die „Beschlüsse der Berliner Konferenz der drei Mächte“ zur Entnazifizierung. Alle mussten einen Fragebogen und einen politischen Lebenslauf einsenden. Vor allem in der Leitung der Unternehmen wurde eine „Betriebsreinigung“ vorgenommen, mit der Mitglieder der NSDAP und ihren Gliederungen gekündigt wurden. In der Riebeckbrauerei wurden der Betriebsführer und der Braumeister entlassen.
1946 wurde die Riebeckbrauerei enteignet und in der DDR verstaatlicht.


Die Sternburg Brauerei in Lützschena

Sternburg setzt seit circa zehn Jahren auf ein subkulturelles Marken-Image, das sich nun auch erfolgreich unter den Punker:innen und darüber hinaus durchgesetzt hat. Dabei wirbt Sternburg mit auch mit dem Slogan „Bier mit Tradition“ und bezieht sich auf die fast 200-jährige Firmengeschichte. Auf der Webseite oder der Mauer der jetzigen Sternburgbrauerei in Reudnitz wird allerdings die Zeit des Nationalsozialismus ausgelassen.

Dabei war die Sternburgbrauerei bereits in der Weimarer Republik als „Nazinest“ bekannt, weil mehrere bekannte Anführer der rechtsradikalen „SA-Sturm 21“ in der Sternburgbrauerei angestellt waren und das Arbeitsklima prägten. Boykotte der Arbeiterbewegung und öffentliche Leserbriefe in der LVZ änderten daran nichts.
Die Angestellten und Eliten im Braugewerbe bei Sternburg begannen Ende der 1920er die NSDAP in Lützschena aufzubauen und die erste NSDAP-Betriebszelle im Braugewerbe wurde bei Sternburg gegründet.

Ab 1940 gab es Zwangsarbeiter:innen bei Sternburg. Auf dem Firmengelände befand sich ein Lager im Lützschenaer „Volkshaus“, dem ehemaligen SPD-Lokal. In einem ehemaligen Gewerkschaftsgebäude in Lützschena waren auch Zwangsarbeiter:innen untergebracht. Sie kamen aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, aus der Slowakei, Polen und Frankreich. 1942 gab es bei Sternburg 50 Zwangsarbeiter, sie machten 13 Prozent der Gesamtbelegschaft aus.

Die Sternburg Brauerei pflegte einen außergewöhnlich gewalttätigen Umgang mit den Zwangsarbeitern, der sogar öffentlich kritisiert und vom Betriebsdirektor untersagt wurde. Zwangsarbeiter:innen sollten ja arbeitsfähig bleiben. Aber das änderte nichts an der gewalttätigen Praxis in der Sternburgbrauerei. Kurz vor dem Einrücken der Amerikaner wurde ein Zwangsarbeiter sogar noch erschossen.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde die Sternburgbrauerei enteignet.

Wir können durch die Brüche in der Firmengeschichte zwar nicht von einer Verbindung zum Nationalsozialismus sprechen, allerdings sollte auch mit dieser Geschichte transparent umgegangen werden, wenn sich Sternburg auf seine lange Tradition bezieht. Die Beschäftigung und der gewalttätige Umgang mit Zwangsarbeiter:innen, übrigens genauso wie die Beschäftigung von Strafgefangenen in der DDR bleibt sonst unerwähnt.

Der Eilenburger Bahnhof (Eilenburger Straße 18-19)

Eilenburger Straße 18-19, 04317 Leipzig, DE

Was heute der Lene-Voigt-Park ist, war bis vor circa 30 Jahren der Eilenburger Bahnhof. Es war ein Kopfbahnhof, der am Gerichtsweg endete. Einige der Bahnhofsgebäude stehen heute noch: der Ringslokschuppen und die ehemaligen Güterabfertigungsgebäude. Das Bahnhofsgebäude wurde nach der Zerstörung bei Bombardierungen nicht mehr aufgebaut.

Der Eilenburger Bahnhof war ein zentraler Ort der Zwangsarbeit. Er war die Infrastruktur für Ankunft, Deportation und Rückführung von Zwangsarbeiter:innen.

Es war der Ort, an dem die Zwangsarbeiter:innen aus Osteuropa und der Sowjetunion in Leipzig ankamen. Einige von ihnen wurden durch Werbetafeln mit der Aufschrift „Arbeiten in Deutschland für hohen Lohn“ angeworben, die meisten der sogenannten Ostarbeiter:innen wurden allerdings gewaltsam verschleppt. Die Wehrmacht ging dabei in Dörfern der besetzten Gebiete auf Menschenjagd, trieb die Leute so wie sie gerade auf dem Feld, im Geschäft oder auf der Straße waren zum Bahnhof und deportierte sie ins Deutsche Reich.

Der Transport in den Zügen aus dem Osten fand unter extrem schlechten Bedingungen statt. Bis zu acht Wochen wurden die Menschen in Wägen ohne Abteilungen und Toiletten mit minimaler Versorgung, katastrophaler Hygiene, schutzlos dem Wetter ausgeliefert, ohne Privatsphäre und ärztliche Versorgung deportiert. Es brachen Krankheiten wie Fleckfieber und Typhus aus.

Ab 1941, nach dem Überfall auf die Sowjetunion, kamen jede Woche 1000 Menschen am Eilenburger Bahnhof an und damit begann für sie die Zwangsarbeit in Leipzig.

Der Eilenburger Bahnhof war auch der Deportationsbahnhof in die Vernichtungslager im Osten.

Und nach dem Ende des Nationalsozialismus fand von hier aus die Rückführung der Zwangsarbeiter:innen in ihre Heimatländer statt. Die Rückführung lief über die Infrastruktur der Zwangsarbeit und dieselben Wege wie die Deportation hierher. Das Durchgangslager für Zwangsarbeit in der Riebeckstraße war zum Beispiel ein Sammellager für Displaced Persons aus Polen, die rückgeführt wurden.
Displaced Persons ist eine Bezeichnung der Alliierten für die 11,3 Millionen Menschen, die im Zweiten Weltkrieg aus ihrem Heimatstaat deportiert wurden und sich nach dem Krieg in Deutschland aufhielten: Zwangsarbeiter:innen, Kriegsgefangene und ehemalige KZ-Häftlinge. Die Alliierten verwalteten und sorgten für die Unterbringung und Rückführung der Displaced Persons. (https://de.wikipedia.org/wiki/Displaced_Person)

Die Rückführung in die Sowjetunion wurde aus ideologischen Gründen sehr schnell veranlasst. Viele wollten allerdings nicht zurück, weshalb es in dieser Zeit viele politische Heiraten mit Menschen aus den Niederlanden und Belgien gab. Der Grund dafür war, dass die Sowjetunion ehemalige Zwangsarbeiter:innen verfolgte unter dem Vorwurf für die Deutschen in der Rüstung gearbeitet zu haben. Sogar kommunistische Widerstandskämpfer:innen wurden verfolgt. Bis in die 1950er Jahre wurden ehemalige Zwangsarbeiter:innen in der Sowjetunion überwacht, verfolgt, aus der Partei ausgeschlossen und bekamen einen Vermerk im Ausweis.

Die Leipziger Arbeitsanstalt - Riebeckstraße 63 (Tiefe Straße 10A)

Tiefe Straße 10A, 04318 Leipzig, DE

Oben auf der Brücke ist die Riebeckstraße zu sehen. Sie ist die große und zentrale Straße in Reudnitz-Thonberg. Zwei Kilometer südlich von hier, in der Riebeckstraße 63, war zur Zeit des Nationalsozialismus die städtische Arbeitsanstalt. Direkt gegenüber war die Ausländerstelle des Leipziger Arbeitsamtes, genau dort, wo sich heute im Technischen Rathaus die Ausländerbehörde befindet. Diese beiden Gebäude spielten eine zentrale Rolle in der Organisation von Zwangsarbeit.

Schon vor dem Nationalsozialismus war die Riebeckstraße 63 ein Ort für Ausgrenzung und Strafe.
Die Arbeitsanstalt wurde 1892 gegründet als Zwangsarbeitsanstalt zu St. Georg und wurde später dem städtischen Fürsorgeamt unterstellt. Es war damals eine Haft-, Erziehungs- und Reinigungsanstalt der Leipziger Polizei zur sogenannten „sittlichen Besserung“ von Menschen, die nicht der gesellschaftlichen Norm entsprachen. Dazu zählten Obdachlose, lesbische oder unverheiratete Frauen, Arme, Trinker, psychisch Erkrankte oder sogenannte „Arbeitsscheue“. Sie wurden im Nationalsozialismus als sogenannte „asoziale“ bezeichnet und ab 1937 unter dem Vorwand der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ inhaftiert. Ab 1938 wurden mehrere 1000 sogenannte „Asoziale“ mit der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ in die Konzentrationslager deportiert und ermordet.
Die sogenannten „Asozialen“ sind eine verfolgte Gruppe im Nationalsozialismus, die bis heute kaum Beachtung findet und unter den Opfern des Nationalsozialismus selten genannt wird. Das ist wohl auch dem Umstand geschuldet, dass diese Gruppe, genauso wie die anderen auch, bis heute gesellschaftlich ausgegrenzt wird.

Neben den sogenannten „Asozialen“ wurden in der Zeit des Nationalsozialismus weitere Gruppen in der Arbeitsanstalt inhaftiert oder durchgeschleust:

Ab 1935 befand sich dort ein Gefängnis für politische Gefangene, die „Abteilung für politische Schutzhäftlinge“. 1936 wurden Sinti und Roma zur „Umerziehung“ eingesperrt. Nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wurden Jüd:innen in der Riebeckstraße zur Deportation in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Buchenwald festgehalten. Ab 1940 diente die Riebeckstraße fast ausschließlich der Zwangsarbeit.

Durch den Überfall auf Polen 1940 und 1941 auf die Sowjetunion begann der flächendeckende Einsatz von Zwangsarbeit und die Verschleppung stieg auf eine nie dagewesene Stufe. Die wöchentlich in Leipzig ankommenden Transporte mit 1000 russischen und ukrainischen Zwangsarbeiter_innen überforderten die Infrastruktur im Deutschen Reich. Die auf den Transporten ausgebrochenen Krankheiten belegten 1942 die Quarantänestationen. Insgesamt war die Situation sehr chaotisch.

Deshalb machten die Nationalsozialisten 1942 die Riebeckstraße 63 zu einem „Durchgangslager für ausländische Arbeitskräfte“. Dazu kamen noch weitere Gebäude, die einen sehr großen Komplex bildeten: die Ausländerstelle im heutigen Technischen Rathaus, ein Obdachlosenheim in der Dauthestraße, die 27. Volksschule in der Zillerstraße 9 und ein Wohnhaus in der Reitzenhainer Straße 124. Damit breitete sich die Zwangsarbeit auf den gesamten Stadtteil Reudnitz-Thonberg aus.

Jede Woche kamen also 1000 Menschen am Eilenburger Bahnhof an, die mit Wärtern zu Fuß die gesamte Riebeckstraße entlang bis zur städtischen Arbeitsanstalt gingen.

Im Durchgangslager in der Riebeckstraße 63 angekommen, wurden sie polizeilich erfasst, entlaust, desinfiziert und ärztlich gemustert. Wenn sie arbeitsfähig waren und keine Ansteckungsgefahren für die deutsche Bevölkerung bestand, bekamen sie ihre Arbeitspapiere. Dann wurden sie einem Arbeitsplatz zugewiesen oder vom Arbeitgeber ausgesucht.
Diese Prozedur dauerte zwei bis vier Tage und war in allen Durchgangslagern im Deutschen Reich gleich.

Im Keller der Riebeckstraße 63 wurde außerdem ein Ausländergefängnis eingerichtet. Wenn Zwangsarbeiter:innen dreimal zu spät zur Arbeit kamen, gegen Vorschriften verstießen oder es einen vermeintlichen Vorwurf gab, wurden sie dort eingesperrt. Dazu gibt es einige Erinnerungsberichte in der Gedenkstätte für Zwangsarbeit.
Wo genau sich das Gefängnis im Keller befand, ist heute ungeklärt. In den 1950ern wurden von Wandgravuren im Gefängnis Bilder gemacht, die heute jedoch übermalt sind.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde für die Rückführung der Zwangsarbeiter:innen die selbe Infrastruktur genutzt, die vorher der Zwangsarbeit gedient hatte. In der Riebeckstraße 63 wurde ein Lager für Displaced Persons aus Polen eingerichtet, die in ihre Heimatländer rückgeführt wurden.

Auch danach ging die Nutzung der Riebeckstraße 63 als ein Ort der Ausgrenzung, Disziplinierung und Misshandlung weiter. In der DDR diente sie als Sozialheim und Psychiatrie. Dort befand sich auch die Venerologische Station für Mädchen und Frauen, die ohne rechtliche Grundlage auf der Straße eingesammelt, eingesperrt und gynäkologisch auf Geschlechtskrankheiten untersucht wurden.

Ab Mitte der 1990er Jahre wurde dieses Gelände vom Mobilen Behindertendienst und als Kindertagesstätte genutzt. Seit 2013 befindet sich dort eine Geflüchteten Unterkunft und ein Wohnprojekt für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Mit dem Einzug der ersten Flüchtlinge in die Gemeinschaftsunterkunft wurde das Gelände abgesperrt und von einem Wachdienst betreut.

Der Initiativkreis Riebeckstraße und die Gedenkstätte für Zwangsarbeit in Leipzig setzen sich für eine Gedenktafel ein, die auf die weitreichende Geschichte des Gebäudekomplexes hinweist. Mehr Informationen über den Initiativkreis sind auf der Webseite der Initiative zu finden: https://riebeckstrasse63.de
Dort gibt es einen Flyer zur Riebeckstraße
https://www.zwangsarbeit-in-leipzig.de/fileadmin/Dateien/Aktuelles/Riebeckstrasse_Flyer.pdf
und einen Audiowalk: https://rundgang.riebeckstrasse63.de/


Die Leipziger Autorin Cornelia Lotter verfasste das Buch „Schweigeort“ über die Riebeckstraße 63, in der die geschichtliche Kontinuität der Ausgrenzung am Schicksal dreier Frauen aufgezeigt wird.
https://autorin-cornelia-lotter.de/weitere-veroeffentlichungen/zweiter-weltkrieg/schweigeort/

Widerstand von Zwangsarbeiter:innen (Theodor-Neubauer-Straße 40)

Theodor-Neubauer-Straße 40, 04318 Leipzig, DE

Die deutschen Sicherheitsbehörden sahen die vielen Zwangsarbeiter:innen im Deutschen Reich als Bedrohung und Sicherheitsrisiko an und verbreiteten regelmäßig Angst in der deutschen Bevölkerung. Als größte Gefahr galten Aufstände und Sabotage von sowjetischen Kriegsgefangenen und Ostarbeiter:innen, weil diese vom ideologischen Feind ausgingen. Es gab außerdem Angst vor einer Zusammenarbeit von sowjetischen und deutschen Kommunist:innen.
Diese Angst führte am Ende des Krieges zu Massenexekution von Zwangsarbeiter:innen durch die Leipziger Gestapo. Eine dieser Exekutionen fand am 12. April 1945 statt. 52 Häftlinge aus dem Polizeigefängnis wurden im Norden Leipzigs erschossen und in einem Bombentrichter notdürftig verscharrt.

Widerstand gegen Zwangsarbeit hat es viel gegeben. Anfangs vor allem von Ostarbeiter:innen, weil diese die schlechtesten Lebensbedingungen hatten. Sie wehrten sich gegen Ungerechtigkeiten bei der Arbeit, Unterbringung, Lohn und Freizeit. Aber mit wenig Erfolg.
Lange Zeit schien die Situation im Deutschen Reich aussichtslos. Erst um die Jahreswende 1942/43 kam mit den Luftanschlägen der Alliierten und den ersten Erfolgen der Roten Armee Hoffnung auf. Die Welt sah den Verbrechen der Nationalsozialisten nicht mehr tatenlos zu und der Krieg könnte irgendwann vorbei sein.
Zwangsarbeiter:innen organisierten sich besser und bildeten bald Widerstandsgruppen in 38 Städten. Sie umfassten mehrere tausend Mitglieder. Wobei Verbindungen zwischen deutschen und sowjetischen Widerstandsgruppen eine Ausnahme waren.

Eine dieser Ausnahmen gab es in Leipzig. 1943 gründete sich das Internationale Antifaschistische Komitee. Es bestand aus Ostarbeiter:innen und kommunistischen Kriegsgefangenen und deutschen Kommunist:innen.
Die Größe der Gruppe ist nicht klar. Nach Gestapo Berichten zählten 45 Leute dazu, 12 davon waren Deutsche. Allerdings wurden dem Internationalen Antifaschistischen Komitee später bis zu 300 Mitstreiter:innen zugeordnet.

Zur Gründung kam es durch den Jungen Karl Iljitsch Hauke, auch Lixer genannt. Seine kommunistischen Eltern Maximilian und Elsa erzogen ihn mit kommunistischen Werten und brachten ihm Russisch bei. Als er eines Tages am Güterbahnhof Plagwitz Kohlen holte, lernte er den sowjetischen Zwangsarbeiter Alexej kennen. Schnell wurde klar, dass es eine gemeinsame politische Einstellung gab und es kamen weitere Verbindungen zustande. Die sowjetischen Zwangsarbeiter und Kommunisten Nikolai Rumjanzew und Boris Lossinski, die im Lager der Mitteldeutschen Motorenwerke in Taucha lebten, kamen dazu. Nach einiger Zeit schmiedeten sie den Plan in Leipzig eine antifaschistische Organisation aufzubauen.

Es kam noch eine junge Ukrainerin namens Taissija Tonkonog in die Gruppe, um zu übersetzen und sich zu beteiligen. In der Sowjetunion war sie Mitglied des Komsomol, dem kommunistischen Jugendverband der Sowjetunion. Sie arbeitete als Dolmetscherin im Lager der Karl Krause Maschinenfabrik. Als Dolmetscherin hatte sie bessere Lebensbedingungen als die übrigen Ostarbeiterinnen und war nicht im Lager, sondern hier an dieser Kreuzung, in der Güldenen Aue untergebracht. In welchem Gebäude genau ist unklar. Sie war eine der ersten, die in die illegale Arbeit einbezogen wurde. In der Firma Karl Krause sollte sie im Auftrag der Gruppe Verbindung zum dortigen Lagerführer Rieger aufnehmen, um die Gruppe mit Informationen zu versorgen.

Der Name Internationales Antifaschistisches Komitee stammt von den drei sowjetischen Zwangsarbeiter:innen, Nikolai Rumjanzew, Boris Lossinski und Taissija Tonkonog.

In der Gartenlaube der Familie Hauke in Kleinzschocher hörte die Widerstandsgruppe sowjetische Radiosender, um den Kriegsverlauf zu verfolgen. Sie verfasste acht 8 Flugblätter, in denen über den Krieg berichtet wurde und rief zur Gruppenbildung und zum bewaffneten Aufstand auf. Innerhalb kurzer Zeit baute sie Verbindungen zu 60 bis 70 Lagern in und um Leipzig auf, die regelmäßig mit Flugblättern versorgt wurden.
Weiter kam das Internationale Antifaschistische Komitee leider nicht, weil Nikolai Rumjanzew am 31. Mai 1944 in einem Lager mit Flugblättern erwischt wurde. Er wurde direkt der Gestapo übergeben, verhaftet und im Gefängnis gefoltert. Einige Informationen über das Komitee stammen aus den Verhörprotokollen der Gestapo.
Daraufhin wurde Taissija Tonkonog am 11. Juni 1944 verhaftet und drei Tage danach Boris Lossinski. Alle wurden in den Verhören gefoltert und misshandelt. In den folgenden Tagen und Wochen wurden weitere Verdächtige verhaftet, die dem Komitee zugerechnet wurden.

Schließlich wurden 48 sowjetische Zwangsarbeiter:innen ohne Prozess auf Befehl von Heinrich Himmler nach Auschwitz deportiert. Der erste Transport fand am 02.08.44 statt, der zweite am 25.08.44, bei denen Nikolai Rumjanzew und Taissija Tonkonog umgebracht worden sein sollen. Die Informationen dazu entstammen einem Fragebogen, aus dem hervorgeht, dass sie deportiert wurden.
Den 12 deutschen Mitgliedern wurde Ende 1944 der Prozess vor dem Volksgerichtshof in Dresden gemacht. Elsa Hauke wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Vier Männer bekamen Todesurteile, die jedoch durch die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 verhindert wurde. Die Inhaftierten konnten fliehen und verbrachten die Zeit bis zum Ende des Krieges im Untergrund.

In der DDR wurde dem Internationalen Antifaschistischen Komitee ein Denkmal erbaut. Der Widerstand von Kommunist:innen wurde in der DDR im Gegensatz zur BRD wertgeschätzt, allerdings auch zu Propagandazwecken genutzt. Beispielsweise wurde eine Kontinuität vom Widerstand gegen den Nationalsozialismus bis hin zur Gründung der SED geschaffen, die in dieser Form nicht existiert hat. Und eine internationale Zusammenarbeit von Kommunist:innen und Sozialdemokrat:innen wurde überzeichnet, um eine Einheit der Arbeiterklasse darzustellen. In diesem Kontext steht auch das Gedenken an das Internationale Antifaschistische Komitee.
Das Denkmal wurde zum 15. Jahrestag der Befreiung in Grünau mit 12.000 Menschen eingeweiht. Es steht an der Haltestelle Hermann-Meyer-Straße in der Nähe der Gartenlaube der Familie Hauke, in der sich Nikolai Rumjanzew und Boris Lossinski auch eine Zeit lang versteckt hielten. Auf dem Denkmal befindet sich unter der Abbildung der Fahne der ehemaligen Sowjetunion folgende Inschrift:

1942-1944
Sowjetische und Deutsche Kommunisten
leiteten von hier aus den
Widerstandskampf gegen den Faschismus
N. W. Rumjanzew
B. W. Losinsky
T. N. Tonkonog
Sie opferten ihr Leben für die Befreiung

An der Einweihung nahmen die Mutter von Taissija Tonkonog, die Ehefrauen von Boris Lossinski und Nikolai Rumjanzew und die Tochter von Nikolai Rumjanzew teil. Nach den beiden Männern wurden in der DDR Straßen, Arbeitsbrigaden und Schulen benannt. Bis heute gibt es die Nikolai-Rumjanzew-Straße in Kleinzschocher direkt am Denkmal. Sie wurde am 7. Oktober 1959, dem 20. Jahrestag der DDR umbenannt. Der Lossinskiweg ist auch heute noch in Schönefeld unweit des ehemaligen Geländes der Hugo Schneider AG, bei der beide während ihrer Illegalität gearbeitet haben sollen. Nach Taissija Tonkonog ist keine Straße benannt worden.

Der Sohn der Familie Hauke, Karl Iljitsch oder auch Lixer, erzählte bis zu seinem Lebensende vor einigen Jahren von seiner Familiengeschichte.

Die Leipzier Autorin Cornelia Lotter hat einen Roman über das Internationale Antifaschistische Komitee verfasst, in dem die Geschichte auf Grundlage von Archivmaterial und den Berichten von Lixer erzählt wird:
https://autorin-cornelia-lotter.de/weitere-veroeffentlichungen/zweiter-weltkrieg/schwarzer-mohn/

Die Karl Krause Maschinenfabrik (Theodor-Neubauer-Straße 60)

Theodor-Neubauer-Straße 60, 04318 Leipzig, DE

Das Firmengelände der Karl Krause Maschinenfabrik befand sich zwischen der Zweinaundorfer Straße und der ehemaligen Karl-Krause Straße, die heute Theodor-Neubauer Straße heißt. 1944 wurde das Gelände bombardiert und die meisten Gebäude zerstört. Nur dieses Gebäude hier, der „Hochbau“ und die Karl Krause Villa stehen noch. Die Villa wurde vor einigen Jahren saniert. Der Hochbau und das ehemalige Firmengelände wurde von einer Immobilienfirma aufgekauft.

Die Karl Krause Maschinenfabrik wurde 1855 von Karl Krause gegründet zur Herstellung von papierverarbeitenden Maschinen. Es wurden dort Steindruckpressen, Buchbindereimaschinen sowie in den 1920er Jahren die erste Kopiermaschine produziert. Das Druckmaschinenunternehmen Karl Krause befand sich damals im sogenannten Graphischen Viertel im Leipziger Osten, in dem es zahlreiche Verlage und Buchindustrieunternehmen gab. Das Graphische Viertel wurde bei zwei Bombenangriffen am 04. Dezember 1943 und am 27. Februar 1945 größtenteils zerstört.

Der Unternehmer Karl Krause war ein sozialer Arbeitgeber. Für seine Belegschaft baute er Kindergärten, ein Schwimmbad und zwei Kleingartenanlagen.

Er übergab die Fabrik seinem Schwiegersohn Heinrich Biagosch.
1932 wurde die Firma von dessen Söhnen Karl, Kurt und Dr.-Ing. Heinrich Biagosch übernommen.
Ein Jahr später begann mit der Machtergreifung 1933 der Nationalsozialismus und das Druckmaschinenunternehmen Karl Krause musste sich an die politischen Bedingungen anpassen.
Ab 1933 wurde die Produktion stückweise auf Rüstungsgüter umgestellt. Mit Beginn des Krieges auch auf Kriegswaffen. Es gab eine Zusammenarbeit mit der Firma MAN und es wurden Granaten, Geschosse, Spezialmaschinen für die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke AG und später Panzerersatzteile hergestellt. Zunächst unter Geheimhaltung.

Ab 1942 produzierte Karl Krause zu 95 % für die Rüstungsproduktion. Das war dem Kriegsbauprogramm geschuldet. In einem internen Schreiben heißt es dazu: „Der totale Krieg erfasst auch unseren Betrieb in immer größerem Umfange. Die Fertigung der eigenen Maschinen wird eingestellt.“ (Staatsarchiv Leipzig; 20788; Karl Krause; Nr. 0075. S. 116–118)
Karl Krause musste aufgrund des Kriegsbauprogramms sehr schnell und viel produzieren. Dafür „brauchten“ sie Zwangsarbeiter:innen. Sie machten ein Drittel der Belegschaft aus. Das war allerdings nicht genug. In einem geheimen Briefwechsel mit dem Leipziger Arbeitsamt in der Riebeckstraße 63 ist die Rede von „Engpässen“ mit Zwangsarbeiter:innen. Karl Krause befand sich 1943 auf dem „Rotzettelverfahren“ und sollte 50 Italiener bekommen, die aber schon verteilt wurden. Im September 1944 schreibt das Unternehmen, dass das Arbeitstempo gesteigert werden muss und deshalb ein „Sofortbedarf an 80 Männern und 40 Frauen besteht, dann künftig monatlich 60 Arbeitskräfte“.

Außerdem beschäftigte Karl Krause Strafgefangene. 1944 wurde mit der Untersuchungshaftanstalt ein geheimer Vertrag aufgesetzt. Gefangene mussten in einem Arbeitssaal der Firma zehn Stunden pro Tag arbeiten. Der Lohn ging an die Untersuchungshaftanstalt. Die Beschäftigung von Strafgefangenen wurde genauso wie die Rüstungsproduktion und der hohe Bedarf an Zwangsarbeiter:innen geheim gehalten, um dem Ruf nicht zu schaden.

Zu dieser Zeit hatte das Werk 1.400 Beschäftigte, darunter 426 Zwangsarbeiter:innen. Sie kamen aus Frankreich, Lettland, Litauen, Belgien, Italien, Deutschland, Polen und der Sowjetunion. Karl Krause hatte für ihre Unterbringung drei eigene Firmenlager, einige Zwangsarbeiter:innen waren auch an anderen Orten untergebracht.
Das größte Firmenlager war das Betriebslager Anger in der Zweinaundorfer Straße 59. Es befand sich auf dem Firmengelände. Dort waren mindestens 380 Zwangsarbeiter:innen untergebracht, mehr als die Hälfte davon waren Ostarbeiter:innen.
Ein weiteres Lager befand sich in der Hilfsschule Leipzig-Ost am Tunnel des Stünzer Park in der verlängerten Plaußiger Straße.
Und das dritte Lager war eine Holzbaracke, die auf dem Schulgartengelände der 17. Volksschule Karl-Vogel-Straße 17/19 in Reudnitz stand. Dort gab es zwei große Räume für 160 Ostarbeiter.
Andere Zwangsarbeiter:innen waren im Westen von Leipzig untergebracht. Im Felsenkeller, der heute ein Veranstaltungsort ist, in Lagern von Buchdruckfirmen in Plagwitz auf der Karl-Heine-Straße 107 und 111, im Lager „Weißflog“ bzw. „Russenlager“ in der Diezmannstraße 5 und im Lager Papyrus in der Brockdorff-Rantzau-Straße 10, der heutigen Plautstraße.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus 1945 wurde von den Befreiungsmächten die Entnazifizierung eingeleitet.
Die drei Brüder Heinrich, Kurt und Karl Biagosch, die Firmeneigentümer, waren in der NSDAP, deren Mitgliedschaft freiwillig war, in der SA-Reserve und in der DAF, der Deutschen Arbeitsfront. 7 % der Belegschaft waren in der NSDAP.
Karl Biagosch war allerdings schon vor dem Nationalsozialismus ein Nazi. In der Weimarer Republik war er Mitglied der Deutsch Nationalen Volkspartei, die extrem nationalistische, völkische und antisemitische Ansichten vertrat, ab 1930 mit der NSDAP kooperierte und nach ihrer Selbstauflösung 1933 personell in die NSDAP überging. Karl Biagosch wurde somit 1933 Mitglied der NSDAP. Er war später auch freiwilliges Mitglied des NSFK, dem Nationalsozialistischen Fliegerkorps.
(Staatsarchiv Leipzig; 20788; Karl Krause; Nr. 0892.)

1948 wurde die Firma Karl Krause enteignet. Die Brüder Biagosch gingen daraufhin 1949 in den Westen nach Bielefeld und gründeten die Firma „Krause-Biagosch GmbH“ in der graphischen Industrie, die es bis heute gibt.
Die Karl Krause Maschinenfabrik wurde in der DDR verstaatlicht als VEB Buchbindereimaschinenwerke Leipzig im Kombinat Polygraph. 1994 schloss das Werk. Alle anderen Fabrikhallen wurden nach und nach abgerissen und bis heute liegt das Gelände brach.
2015 kaufte der Investor Dolphin Trust das ehemalige Firmengelände und den Hochbau. Mit einem 15-Millionen-Euro-Projekt will er den Hochbau sanieren und dort Luxus Lofts mit einer großen Grünfläche hinter dem Haus vermieten. Außerdem sollen noch weitere Stadtvillen mit Eigentumswohnungen auf dem Gelände gebaut werden. Die Pläne dafür kann man auf der Seite https://krause-fabrik.de/ ansehen.