Stadtrundgang zu Sophie Scholls Jugendzeit in Ulm. Ein Projekt der Stipendiatengruppe Ulm/Neu-Ulm der Hanns-Seidel-Stiftung im Rahmen des "Think Tank" zu Sophie Scholls 100. Geburtstag.
Autor: Hanns-Seidel-Stiftung Stipendiatengruppe Ulm/Neu-Ulm
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Erziehung, Herkunft und Werte in der Familie Scholl
Olgastraße 139, 89073 Ulm, DE
Die Olgastraße 139 war von 1933 bis 1939 das Wohnhaus der Familie Scholl. Vor der Ansicht des ehemaligen Elternhauses der Scholl-Geschwister stellt sich nun eine Frage: Wie haben das Elternhaus und die Erziehung der Scholls dazu beigetragen, dass Hans und Sophie sich gegen den Nationalsozialismus eingesetzt haben? Wie gestaltete sich der familiäre Hintergrund der Scholls? Bei der Beantwortung bleibt viel Platz für Interpretationen. Trotzdem soll der folgende Audiotext versuchen, Antworten auf die gestellten Fragen zu geben. Auch soll er einen Überblick darüber verschaffen, wie die Scholl-Geschwister aufgewachsen und geprägt worden sind.
Neben dieser digitalen Station erinnern auch Texttafeln und Fotos im Foyer des Hauses an die Familie Scholl.
Quellen des Informationstexts zum Nachlesen:
• Gebhardt, Miriam, Die Weiße Rose: Wie aus ganz normalen Deutschen Widerstandskämpfer wurden, Pantheon Verlag, 2. Auflage 2018
• Knab, Jakob, Ich schweige nicht, Hans Scholl und die Weiße Rose, wbg Theiss, Darmstadt, 2018
• Scholl, Inge, Die Weiße Rose, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main, Neuausgabe 1993, 17. Auflage 2018
• Schüler, Barbara, Im Geiste der Gemordeten... Die 'Weiße Rose' und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit: Die "Weisse Rose" und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit, Verlag Ferdinand Schöningh, 2000
• Sturm, Frank, Die Weiße Rose, Matrixverlag GmbH, Wiesbaden, 2013
• Zankel, Sönke, Mit Flugblättern gegen Hitler: Der Widerstandskreis um Hans Scholl und Alexander Schmorell, Böhlau Verlag, 2007
• Zoske, Robert M., Flamme sein!: Hans Scholl und die Weiße Rose, C.H.Beck Verlag, 2. Auflage, 2018
Onlinequellen des Informationstextes zum Nachlesen:
• https://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/weisse-rose/60955/sophie-scholl, Stand 18.08.2021
• https://www.ulm.de/tourismus/stadtgeschichte/pers%C3%B6nlichkeiten/sophie-scholl-100/sophie-scholl-leben-und-wirken, Stand 01.09.2021
Historisches Bild der Olgastraße: Mit freundlicher Genehmigung des Haus der Stadtgeschichte/Stadtarchiv Ulm
Gewissensentwicklung der Geschwister Scholl
Klosterhof 11, 89077 Ulm, DE
Die Scholl-Geschwister waren zu Beginn Anhänger des Nationalsozialsmus und begeisterte HJ- und BDM-Mitglieder. Mit der Zeit kam es jedoch zur Abkehr vom Nationalsozialismus und zu einer Gewissenentwicklung.
Der Inhalt zu diesem Thema umfasst vier Teile, die nachfolgend als Text dargestellt sind. Die Inhalte gibt es auch als Audio-Version.
Geburt bis zum Verbot der bündischen Jugend
Familie Scholl war geprägt von einem bewundernswerten Zusammengehörigkeitsgefühl und einem warmherzigen Beziehungsklima. Es war den Eltern sehr wichtig, dass die Kinder selbstständig denken, urteilen und handeln lernten. Der Vater war als Bürgermeister liberal und fortschrittlich. Die Kinder wurden selbstbewusste Menschen, die sehr leistungsstark waren. Die Kinder waren von Hitler geblendet und verehrten ihn. Sophie war damals 14 Jahre alt, Hans Scholl war fast 3 Jahre älter. Hans und Sophie Scholls Vater war von Anfang an wenig begeistert. Er lehnte die Nationalsozialisten entschieden ab. Die Worte, dass die Kinder Hitler nicht glauben sollen, wurden von diesen aufgrund ihrer Begeisterung überhört. Hans Scholl (und seine große Schwester Inge Scholl) empfanden ihre politische Einstellung als moralisch korrekt. In ihrer Ansicht wurde das Weimarer Chaos beseitigt und so die Nation gerettet. Die prächtigen und pompösen Aufzüge und Feste befeuerten diese Faszination. Bereits 1933 und 1934 traten die Scholl Geschwister in die einzigen legitimen Jugendorganisationen Hitlerjugend und Bund deutscher Mädels ein. Zu diesem Zeitpunkt war es keine Pflicht dort Mitglied zu werden. Die Worte des Vaters, welcher gegen die Nationalsozialisten war, verstärkten den Widerstand der Kinder gegen die elterliche Autorität und somit auch gegen alles, was nicht der Nationalsozialismus war. Hans und Sophie Scholl liebten das Gemeinschafts- und Abenteuerleben in der Hitlerjugend. Die dortigen Vorgesetzten verehrten sie aufgrund ihres Engagements, Pflichtgefühls und Unerschrockenheit. Beide arbeiteten sich zu Führungspositionen in diesen Jugendorganisationen hoch. 1935 durfte Hans Scholl sogar in Nürnberg am Reichsparteitag als Fahnenträger teilnehmen. Allerdings wurde er dort komplett enttäuscht. Er war ernüchtert, erlebte er am „Parteitag der Freiheit“ keine Freiheit, sondern massenpsychotischer Gleichklang und unangenehmer Anpassungszwang. Eine Abkehr vom Nationalsozialismus war dies jedoch nicht. Er wurde lediglich darin bestärkt, seine HJ-Gruppenarbeit selbstbestimmt zu gestalten. Diese Autonomie bzw. der Autonomiegedanke generell war auch in der bündischen Jugend vor 1933 vertreten. Unter dem Deckmantel vieler HJ-Gruppen existierte die Deutsche Jungenschaft 1.11 (dj 1.11), ein Ableger der bündischen Jugend auch nach der Gleichschaltung aller Jugendgruppen weiter. Hans Scholl war überzeugt, dass sich die Arbeit in der Hitlerjugend mit den bündischen Praktiken kompatibel seien. Von dem Verbot der dj 1.11 im November 1935 ließ er sich daher wenig beeindrucken. Diese Auffassung teilte er auch mit seinem Freund Ernst, welcher aus Köln stammte und in Ulm gerade seinen Wehrdienst ableistete.
---------- Einschub - Was ist die bündische Jugend - Einschub ---------
Was ist die Bündische Jugend?
Unter bündischer Jugend versteht man die in den 1920er Jahren gegründeten Sammelbewegungen von Jugendlichen. Den in der Bündischen Jugend organisierten Jugendlichen ging es darum, außerhalb von Elternhaus, Schule und Beruf ihre Freizeit selbstbestimmt zu gestalten. Bündische Jugend war dabei ein Oberbegriff für viele Jugendbewegungen. Ca. 40% aller Jugendlichen waren Teil von solchen Gruppen. Die Aktivitäten waren anfangs nicht politisch. Vielmehr ging es um wöchentliche Nestabende oder mehrtägige Wanderungen in den Sommerferien, sowie Gestaltungen einiger Feste, zB Sonnenwendfeiern. Also Gruppenerlebnisse (Sport, Spiel, Singen, Musizieren) und Naturerfahrungen (Wandern, Zeltlager). Später wurden kommunale Jugendringe gegründet, die Jugendfürsorge ausgeweitet. Das kulturelle Angebot wurde durch bündisch geprägte Sing- und Musiziergruppen erweitert. Allerdings wurden Autonomie und Selbstständigkeit von der Bündischen Jugend ebenfalls betont. Zum Ende der Weimarer Republik verstärkte sich die Politisierung der Bündischen Jugend, welche vorwiegend aus Wandervögel- und Pfadfindergruppen bestand. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 bedeutete das Ende der freien Jugendbünde. Alle Jugendverbände wurden in die Hitlerjugend und Bund deutscher Mädels eingegliedert, so dass es nur noch eine Jugendgruppierung unter der Führung der NSDAP bzw. des Reichsjugendführers gab. Die Vielfalt der Jugendverbände wurde abgeschafft. Die meisten ehemals Bündischen passten sich dem Nationalsozialismus an. Daher sind die vereinzelten Beispiele für jugendlichen Eigensinn und Widerstand aus bündischen Kreisen besonders bemerkenswert. Dazu zählt der politische Widerstand der Mitglieder der "Weißen Rose", Hans Scholl (1918–1943) und Sophie Scholl (1921–1943), die noch bündische Elemente innerhalb des NS-Jungvolks kennengelernt hatten.
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Ab Verbot der dj 1.11 bis Ende der HJ Zeit Hans Scholls
Hans Scholls Stammesführer, welcher selbst Anhänger der dj 1.11 war, wollte nach dessen Verbot mit der bündischen Jugend nichts mehr zu tun haben. So begann die Beziehung mit Hans Scholl, welcher sich sicher war, dass die HJ-Arbeit mit dem der bündischen Jugend kompatibel sei. Die Konflikte schaukelten sich hoch, bis Hans Scholl seinem Stammesführer Max von Neubeck eine Ohrfeige verpasste und dieser ihm daraufhin das Amt des Fähnleinführers entzog. Dennoch durfte Hans Scholl weiterhin seine Jungvolkgruppe führen, welche im Grunde genommen eine dj 1.11 Horde war. Nach außen hin war sie eine Jungvolk-Einheit, machte jedoch ihre eigenen Unternehmungen. Da sieht man wieder die Autonomie Hans Scholls und dessen Bestrebungen seine Arbeit selbstbestimmt zu gestalten. Sein Konflikt mit Max von Neubeck wurde befriedet und Hans Scholl als Zugführer wieder in die HJ-Hierarchie aufgenommen. Sophie Scholl wurde auch innerhalb des Bundes Deutscher Mädels (BDM) befördert. Sie wurde Scharführerin und 1936 unterstanden ihr 40 Jungmädels. Sie war weiterhin begeistert von den Jungmädels und identifizierte sich mit ihren Zielen. Einzig ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn machte in ihrem ideologischen Einstellungssystem einen Riss. Sie verstand nicht, warum ihre jüdische Klassenkameradin Luise Nathan, welche im Vergleich zu ihr sogar blonde Haare und blaue Augen hatte, nicht in die Hitlerjugend durfte. Dies passte nicht in ihr Weltbild. Auch mit ihrer jüdischen Freundin Annelies Wallensteiner blieb sie weiterhin befreundet. Gleichzeitig betrat sie jedoch bei ihrer Konfirmation 1937 die Kirche mit ihrer BDM-Uniform. In ihrem Tagebuch sammelten sich in den Monaten nach der Konfirmation jedoch Gefühlsschwankungen, Selbstzweifel und Sinnfrustrationen. Sie dachte intensiv über sich selbst nach, wurde kritischer und ging auf größere Distanz zur Erwachsenenwelt. Eine Begründung hierfür liefert das Tagebuch nicht. Konsequenzen hatten diese Gedanken auch nicht. Sie führt ihre Führungsämter im BDM fort. Hans Scholl beendete 1937 sein Abitur, somit endete seine Zeit bei der Hitlerjugend. und er trat den Reichsarbeitsdienst, auch als Ehrendienst am Deutschen Volk bezeichnet, an.
Hans Scholls Zeit nach der Hitlerjugend bis Beginn Weltkrieg
Nach Hans Scholls Zeit bei der Hitlerjugend bis zu seinem Abitur 1937 trat er den Reichsarbeitsdienst, auch als Ehrendienst am Deutschen Volk bezeichnet, an. Die Gespräche mit seinem Vater, als er Pfingsten 1937 zu Hause verbringen durfte, trafen nicht mehr auf (jugendlichen) Widerstand. Im Gegenteil, als sein Vater über die Unrechtsherrschaft und Konzentrationslager erzählte, erzeugte dies Betroffenheit und intensives Nachdenken. Im November 1937 trat Hans Scholl seinen Wehrdienst an. Neun Tage später wurde eine reichsweite repressive Aktion gegen bündische Gruppen durchgeführt. Seine Trabanten wurden in der Schule verhaftet, auch seine Familie in Ulm. Hans Scholl zeigte sich von den Erzählungen der Familie zwar betroffen, aber nicht resignativ. Erst als er selbst Mitte Dezember in der Kaserne verhaftet wurde und zwei Wochen später entlassen wurde, weil sein Schwadronenchef sich für ihn einsetzte, hatte dies nachhaltige Wirkungen bei ihm. Er hatte Angst und musste auf sein Gerichtsverfahren warten. Dies war das erste Mal, dass Hans Scholl die Repressionen der nationalsozialistischen Staatsmacht selbst erfahren hat. Zusätzliche Irritationen lösten bei ihm der Einmarsch deutscher Truppen in Österreich aus. Vor allem bei Sophie Scholl löste die antibündische Gestapo-Aktion und die Verhaftung Hans Scholls Bestürzung aus. Ihr wurde bewusst, wie wertvoll Freiheit ist und wie sehr dieses wertvolle Gut beschnitten wurde. Aus ihrer Sicht war dieses Vorgehen vollkommen unbegründet und trug zur weltanschaulichen Entfremdung vom BDM und dem Nationalsozialismus bei. Ebenso wie ihr Bruder Hans Scholl 3 Jahre zuvor, nahm sie sich gemeinsam mit anderen BDM-Führerinnen Freiheiten hervor und führte einige eigenmächtige Handlungen durch, weshalb sie ihrem Amt im BDM enthoben wurde. Mitglied im BDM blieb sie dennoch. Hans Scholls Gerichtsverfahren fand im Mai 1938 wegen bündischer Aktivitäten statt. Aufgrund einer Amnestie, welche Hitler nach dem Einmarsch in Österreich anordnete, musste Hans Scholl keine Strafe absitzen und erhielt auch keinen Eintrag im Vorstrafenregister. Seinen Wehrdienst führte er vorbildlich fort. In ihm traten jedoch innerlich kritische Distanzen auf. Viele seiner Kameraden hinterfragten gar nicht, warum überhaupt Krieg? Sondern würden blind und dumm losmarschieren. Sophie Scholl erlebte hingegen durch ihre Degradierung beim BDM Freiheiten, was ihre Freizeitgestaltung anging. Über die Vorgänge in der sogenannten Reichspogromnacht vom 9. Auf den 10. November war die komplette Familie Scholl schockiert. Sie pflegten mit zu ihren jüdischen Mitbewohnern eine friedliche Beziehung und sahen die November-Pogrome als Staatsterror. Hans Scholl beendete seinen Wehrdienst und wollte Medizin studieren. Als Voraussetzung hierfür absolvierte er eine 6-monatige Sanitätsausbildung und fühlte sich dabei froh und dankbar, dass er als gesunder Mensch anderen helfen konnte. Diese Erfahrungen bestärkten ihn in seiner Studienabsicht. Er immatrikulierte sich an der LMU in München. In den NS-Studentenbund trat er nicht ein. Bei seinem Ernteeinsatz in Ostpreußen nach dem Semester gestand er sich ein, dass es ihn nach Freiheit drängt. Sophie Scholl befand sich zu dem Zeitpunkt noch in der Schule. In den Sommerferien 1939 bereiste sie Norddeutschland, weil aufgrund akuter Kriegsgefahr ein Ausreiseverbot verhängt wurde. In einer dortigen Jugendherberge ereignete sich ein Vorfall, als ein Gast in ihren Büchern schnüffelte und sie wegen verbotener Literatur melden wollte. Daraufhin reiste sie sofort ab nach Hause. Dies war noch ein Kontakt mit der Unfreiheit der Nationalsozialisten. Kurz darauf begann am 1. September 1939 mit dem Einmarsch in Polen der zweite Weltkrieg.
Die Zeit ab dem zweiten Weltkrieg bis Sophie Scholl nach München zog
Hans Scholl wurde im September 1939 nicht zum Kriegsdienst herangezogen. Was sich in dieser Zeit in seinem inneren abspielte, war ziemlich ambivalent. Sophie Scholls Freund Fritz Hartnagel war als Berufsoffizier natürlich von Anfang an dabei. Sophie Scholl verspürte jedoch keinerlei Kriegsfreude, sondern entschiedene Ablehnung dessen, was jetzt in kollektiver Gewalt in Gang kam. Sophie Scholl stand kurz vor dem Abitur. Es bildete sich ein Kreis aus den Scholl-Geschwistern und dem katholischen Aicher-Trio, welche sich mit Fragen der Politik, Kunst, Literatur, Philosophie und Religion auseinandersetzen. In diesem Bund, welcher später als Scholl-Bund bezeichnet wurde, entfaltete sich antinazistisches und autonomes Geistesleben. Um den Reichsarbeitsdienst zu umgehen, wollte sie direkt im Anschluss an den Schulabschluss eine Ausbildung als Kindergärtnerin beginnen, welche sie 1939 auch begann. Hans Scholls Studium wurde durch den Krieg zwischendurch unterbrochen. Auch er wurde eingezogen, hatte eine Zeit lang Lazarettdienst. Seine Erlebnisse im Lazarettdienst resümierte er ernüchternd: er sei vor diesem Wahnsinn innerlicher und aufnahmebereiter gewesen. Später durfte er sein Medizinstudium fortsetzen. Sophie Scholl rückte während des Westfeldzuges noch weiter vom NS-Regime und dessen Kriegspolitik ab. Während morgendlicher Rundfunkübertragungen zeigte sich demonstratives Desinteresse und widmete sich verbotener Literatur. Ihre Freundin Susanne Hirzel sagte über die damals 19-jährige, dass Sophie Scholl eine entschiedene Gegnerin Hitlers geworden sei, sich zuweilen in gefährlichem Freimut äußere und sich dabei oft in allzu großer Sicherheit fühle. Eine Mitschülerin ahnte Schlimmeres und sah die Scholls schon am Galgen hängen. Sophie Scholl besuchte weiterhin BDM-Veranstaltungen aus Pflichterfüllung. Sie schrieb ihrem Freund, dass sie als moralisch reife und urteilsfähige Person wahrgenommen werden möchte. Die Beziehung befand sich jedoch in einer Krise, für welche es mehrere Ursachen zu geben schien. Sophie Scholl erhielt ihr Examenszeugnis zur Kindergärtnerin. Bevor sie jedoch studieren durfte, musste sie den Reichsarbeitsdienst absolvieren. Hans Scholl hatte in München eine neue Freundin und teilte ihrer Familie auch mit, dass der Krieg für ihn ein Fluch Gottes sei und er nichts von dem aktuellen politischen Zeitgeschehen oder den militärischen und kriegerischen Aktionen hielt. Die neuen Kriegsereignisse machten Hans Scholl emotional sehr betroffen. Auch Sophie Scholl setzte ihre Autonome Werteentwicklung fort. Dies wurde durch den Reichsarbeitsdienst verstärkt. Ihre Abneigung gegen die freiheitsberaubende Lagerordnung wuchs. Die geistige Leere des Dienstes kompensierte sie durch die Lektüre theologischer und verbotener belletristischer Literatur. Zudem machte sie sich Sorgen um ihren Freund an der russischen Front. In Hans Scholls Psyche war eine bedeutsame Wandlung in Gang gekommen. Die Bekanntschaft mit dem reformkatholischen Publizisten und Gegner des Nationalsozialismus Carl Muth, verhalfen Hans Scholl zu einer festen Sinnfindung auf christlicher Grundlage. Sophie Scholl hatte ein solches Festigungserlebnis nicht. Sie war starken seelischen Irritationen ausgesetzt. Sie wurde von Schuldgefühlen und Glaubenszweifeln geplagt. An Weihnachten 1941 waren Hans und Sophie Scholl bei der Familie in Ulm. Was beide nun über den Nationalsozialismus wussten, erschütterte beide tief. Sie war noch brutaler und inhumaner geworden. Die Frage was gegen den Wahnsinn zu unternehmen sei, begann zu keimen. Obwohl Hans Scholl in München sich dem immer regsameren Geistesleben widmete, an Lese- und Gesprächsabenden teilnahm und sein Wille zum Widerstand gewachsen war, beabsichtigte er zu diesem Zeitpunkt noch keine Widerstandsaktionen. Ende April 1942 nach ihrem Kriegshilfsdienst, traf sie am Studienort in München ein. Dort wurde sie durch Hans Scholl rasch in den Kreis der Gleichgesinnten integrierte. Sie lernte die oppositionelle Lebenswelt kennen und entwickelte ihr Widerstandsdenken weiter.
Quellen:
Keller, Gustav: Die Gewissensentwicklung der Geschwister Scholl – Eine moralpsychologische Betrachtung; [2014]
https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/alltagsleben/buendische-jugend.html
https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/B%C3%BCndische_Jugend
Religion und Widerstand - Hans Scholl
89073 Ulm, DE
„Scholls Handeln wäre nicht denkbar gewesen ohne seine religiösen Wurzeln“, sagte der Theologe und Biograf Robert M. Zoske.
Zu Beginn war Hans Scholl vom Nationalsozialismus und Hitler begeistert. Er trat der Hitlerjugend bei und war dort erfolgreich. Wie also kam es zu dem Bruch mit dem Regime? Eines ist auf jeden Fall klar: Die Antwort ist komplex.
Einer der Gründe war „die Freiheit“. Diese war Hans Scholl sehr wichtig. „Freiheit“ war sogar sein letztes Wort bevor er hingerichtet wurde. „Solange er noch seine Freiheit in den nationalsozialistischen Verbänden ausleben konnte, war das okay. Denn er wollte auch führen und leiten. Und solange er noch nicht beschnitten wurde, machte er dort mit. Aber als es dann dazu kam, dass gesagt wurde „das darf man lesen – das darf man nicht lesen“, „diese Überzeugung darfst Du vertreten – andere nicht“, wandte er sich allmählich vom Nationalsozialismus ab.“ sagte Robert M. Zoske.
Nach dem Autor Robert M Zoske gab es zwei entscheidende Faktoren, weshalb es zum Bruch mit dem Nationalsozialismus kam – die Faktoren war die Hauptanklagepunkte im Prozess 1937-38 gegen ihn. Hans Scholl wurde vor Gericht gestellt, da er sich erstens neben der Hitlerjugend „fortgesetzt bündisch betätigt“ hatte - Nach der Machtübernahme der Nazis wurden alle Jugendbünde außerhalb der HJ und BDM verboten und gleichgeschaltet – und zweitens wurde ihm „Homosexualität“ aufgrund seiner Beziehung zu Rolf Futterknecht vorgeworfen. Im Grunde genommen sieht man auch hier wieder das Thema „Freiheit“. Die Freiheit auf selbstbestimmte Jugendpädagogik und die Freiheit der Sexualität.
Da Hans Scholl ein sehr religiöser Mensch war, was einerseits an seiner Erziehung und andererseits an späteren Kontakten zu Theologen, die ihn geprägt haben, lag, war er von Beginn an gegen den Krieg. Diese Haltung wurde verstärkt durch einen Kriegseinsatz im Feldlazarett. Außerdem las er zahlreiche Schriften von Theologen, unter anderem von Friedrich Schleichermacher oder Nikolai Berdjajew - Religion ist Ausdruck von Freiheit. Die Beziehung des Menschen zu Gott kann nur auf Freiheit und auf Liebe gründen. -, und zum Teil auch verbotene Literatur. Der christliche Glaube wurde sozusagen sein Gegenbild zum Nationalsozialismus. Er schrieb sogar religiöse Gedichte.
Robert M. Zoske ist der Meinung, dass Scholls Widerstand gegen das NS-Regime ohne seine christlichen Wurzeln undenkbar gewesen wäre. „Dieses Gegenbild, die Stütze, der Glaube habe ihm Kraft gegeben zu widerstehen und zu wagen was andere nicht wagten“.
Alexander Schmorell, ein enger Freund der Scholl-Geschwister, schrieb in einem Brief über die Familie Scholl „Ein jeder aus der Familie ist eine Ausnahmeerscheinung“. Vor allem Sophie und Hans Scholl waren keine „normalen Deutschen“ oder „Volksgenossen“, sondern Menschen, die dazu bereit waren, anders zu denken und anders zu handeln“ sagt Robert M Zoske.
Die Informationen stammen aus einem Interview von Robert M. Zoske im Deutschland Radio zu seinem Buch „Flamme sein – Hans Scholl und die Weiße Rose“.
Sophie Scholls Zeit im BDM
Stadionstraße 17, 89073 Ulm, DE
Im Januar 1934 nahm Sophie Scholl mit 13 Jahren zum erstem Mal an einem „Heimabend“ des BDM teil. Am 20. April 1934 – Hitlers Geburtstag – hat Sophie Scholl gemeinsam mit den anderen Mädchen ihres Jahrgangs auf der Gänswiese nahe des Ulmer Stadions (heute das Stadion des SSV Ulm 1846 e. V.) feierlich ihr Gelöbnis zur Aufnahme in den BDM gesprochen. Damit folgte Sophie ihren älteren Geschwistern Inge, Hans und Elisabeth.
Den Antrieb dem BDM beizutreten beschrieb Inge Scholl wie folgt „Und Hitler, so hörten wir überall, Hitler wollte dieses Vaterland zu Größe, Glück und Wohlstand verhelfen, er wolle sorgen, dass jeder Arbeit und Brot habe, nicht ruhen und rasten wolle er, bis jeder einzelne Deutsche ein unabhängiger, freier und glücklicher Mensch in seinem Vaterland sei. Wir fanden das gut, und was immer wir dazu beitragen konnten, wollten wir tun. Aber noch etwas anderes kam dazu, was uns mit geheimnisvoller Macht anzog und mitriss. Es waren die kompakten marschierenden Kolonnen der Jugend mit ihren wehenden Fahnen, den vorwärts gerichteten Augen und dem Trommelschlag und Gesang. War das nicht etwas Überwältigendes, diese Gemeinschaft? So war es kein Wunder, dass wir alle, Hans und Sophie und wir anderen, uns in die Hitlerjugend einreihten.“
Im Frühjahr nahm Sophie Scholl die erste Stufe der Karriereleiter beim BDM: Sie wurde Jungmädelschaftführerin in Ulm-Wiblingen und leitete eine eigene Gruppe von 10 bis 15 Mädchen. „Sophie Scholl war damals sehr begeistert, sehr fanatisch für den Nationalsozialismus. Aber mit einem Schuss bündischer Jugend.“ so wird sie später von einem Mitglied ihrer Gruppe beschrieben. Sophie Scholl brachte auch eigene Ideen ein, wie das Verteilen des mitgebrachten Essens der Mädchen oder auch das nächtliche Singen von Balladen. Aufgrund dieser Eigenheiten war sie bei den Eltern nicht besonders beliebt. Während Sophie Scholl sich erstmals außerhalb der Stadt als Führerin erprobte, standen Inge und Hans Scholl im Rampenlicht, wenn es um die NS-Jugendorganisationen in Ulm ging. Inge war Leiterin vom sog. Ring II, die höchste ehrenamtliche Funktion im BDM. Hans war im Januar 1935 zum Fähnleinführer ernannt worden, ihm unterstanden 120 Jungen.
Etwa Ende 1935 begannen die Geschwister Scholl am Nationalsozialismus zu zweifeln. Laut Inge Scholl war Hans Scholl als Erstes beunruhigt. Es wurden ihm Lieder verboten, die er bis dahin immer gesungen hat, kurz darauf auch das Buch seines Lieblingsdichters Stefan Zweig. Diese Verbote verstand Hans Scholl nicht, auch weil er keinerlei Begründung für die Verbote bekam. Dieser Zweifel ist dann im Laufe der Jahre auch auf Sophie und Inge Scholl übergesprungen. Da versucht wurde, alle anderen Einflüsse aus der HJ bzw. BDM zu drängen passten die Geschwister Scholl nicht mehr in die HJ/BDM, da sie immer schon eigene Ideen eingebracht hatten und nicht alles nach Vorschrift machten. Der Wiederstand gegen den Nationalsozialismus begann, als sie merkten, was aus dem Vaterland geworden ist, wie auch Inge Scholl berichtet „Wie da der Zweifel, der bisher nur ein Funke war, erst zu tiefer Trauer wurde und dann zu einer Flamme der Empörung aufloderte. In uns begann eine gläubige, reine Welt zu zerbrechen, Stück um Stück. Was hatte man in Wirklichkeit aus dem Vaterland gemacht? Nicht Freiheit, nicht blühendes Leben, nicht Gedeihen und Glück jedes Menschen, der darin lebte. Nein, eine Klammer um die andere hatte man um Deutschland gelegt, bis allmählich alles wie in einem großen Kerker gefangen saß“.
Im Mai 1936 wurde Sophie Scholl 15 Jahre alt und wurde Scharführerin in Ulm-Söflingen. Sie ist nun für rund 40 Jungmädchen verantwortlich. Einen Monat zuvor wurde Elisabeth Scholl als Ulmer Gruppenführerin vereidigt und hatte etwa 120 Jungmädel unter sich.
1937/38 wurde Sophie Scholl dann zur Gruppenführerin mit Verantwortung für 120 Jungmädel.
Im Frühjahr 1938 wurden Sophie und Elisabeth Scholl sowie weitere Führerinnen von Ulmer JM-Gruppen in die Geschäftsstelle der HJ bestellt. Sie hatten Fahnen genäht, die nicht HJ-konform waren. Sophie Scholl wurde als Führerin abgesetzt (der Zeitpunkt ist nicht klar), durfte aber weiterhin einfaches BDM-Mitglied bleiben. Das war nicht unwichtig, denn ohne die BDM-Mitgliedschaft wurde niemand zum Abitur zugelassen.
Sophie Scholl besuchte noch bis zum Abschluss ihrer Kindergärtnerin-Prüfung im Frühjahr 1941 regelmäßig die BDM-Heimabende in Ulm.
Quellen:
Barbara Beuys, Sophie Scholl, Biografie
Maren Gottschalk, Wie schwer ein Menschenleben wiegt Sophie Scholl eine Biografie
Der Wendepunkt im Leben von Hans und Sophie Scholl - Wie das NS-Regime aus Anhän
Talfinger Straße 30, 89073 Ulm, DE
In der frühen Jugend waren Hans und seine Schwestern begeisterte HJ- und BDM-Führer gewesen und vom Nationalsozialismus begeistert. 1943 wurden Hans und Sophie aufgrund Ihrer Tätigkeiten in der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zum Tode verurteilt und hingerichtet. Es stellt sich also die Frage, was hat die Abkehr vom Hitler-Regime ausgelöst. Professor Ullrich Herrmann gab im SWR auf diese Frage eine Antwort:
Ein bisher kaum beleuchtetes Ereignis war bzw. ist der Prozess gegen Hans Scholl 1937/38. Der Prozess, vielmehr der Grund bzw. die Anklagepunkte, die ihm vorgeworfen wurden, führte dazu, dass Hans „ein begeisterter Hitlerjugend-Führer […] seine Abkehr vom NS-Regime [begann], eine Abkehr, die ihn später, unter dem Einfluss des humanistischen Reformkatholizismus und dann besonders unter dem Eindruck seiner schrecklichen Erlebnisse als Sanitätssoldat in Russland, zum führenden Kopf der Münchner „Weißen Rose“ werden ließ.“ Auch für Sophie Scholl markierte dieses Ereignis einen Wendepunkt in ihrer Haltung zum Regime. So ist im Vernehmungsprotokoll 1943 von Sophie Scholl folgende Aussage zu lesen: „Die Gründe meiner weltanschaulichen Entfremdung vom BDM und damit der NSDAP, etwa im Jahre 1938, liegen in erster Linie darin begründet, dass meine Schwester Inge, meine Brüder Hans und Werner im Herbst 1938 wegen sogenannter bündischer Umtriebe von Beamten der Geheimen Staatspolizei verhaftet und einige Tage bzw. Wochen in Haft behalten wurden. Ich bin heute noch der Auffassung, dass das Vorgehen gegen uns sowohl als auch andere Kinder aus Ulm vollkommen ungerechtfertigt war.“ Vor allem war ihr die „Einschränkung der Geistesfreiheit“ zunehmen ein Dorn im Auge. Dennoch ist der Prozess 1937/38 von zentraler Bedeutung, wenn es um die Abkehr vom Nationalsozialismus der Scholl-Geschwister geht. Er hat folgende Vorgeschichte:
„Mit dem „Gesetz über die Hitlerjugend“ vom 1. Dezember 1936 gerieten alle noch bestehenden Gruppierungen der Bündischen Jugend in die Illegalität […]. Die Fortsetzung eines Jugendlebens außerhalb der Hitlerjugend wurde als „bündische Umtriebe“ kriminalisiert, durch die Ermittlungsbehörden beobachtet und auf der Grundlage der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat“ vom Februar 1933 und anderer Verordnungen in den Ländern des Reiches strafrechtlich verfolgt.“
„[…] Im Zuge ihrer Ermittlungen stieß die Gestapo auf ein Mitglied der Kölner bündischen Jugend, das in Ulm als Soldat Dienst tat. Dieser hatte sich mit Werner Scholl angefreundet und kam so auch in dessen Familie. Im Zuge weiterer Ermittlungen stellte sich dann heraus, dass vor allem in dem von Hans Scholl geleiteten HJ-Fähnlein bündische, also verbotene Jugendkultur praktiziert worden war.“ Werne Scholl war ein Bruder von Hans und Sophie Scholl.
„Im Zusammenhang einer reichsweiten Verfolgung bündisch-jungenschaftlicher Gruppen kam es demzufolge auch in Ulm Anfang November 1937 zu einer Verhaftungsaktion gegen die Mitglieder des HJ-Fähnleins von Hans Scholl. Verhaftet wurden etwa 15 Jungen im Alter zwischen 12 und 17 Jahren, auch Inge, Sophie und Werner Scholl. Sophie wurde gleich wieder freigelassen, man hatte sie wegen ihrer Frisur für einen Jungen gehalten. Sichergestellt wurden Musikinstrumente und bündisches Schrifttum. Vom Ulmer Gefängnis aus wurde die gesamte Gruppe am Abend des Verhaftungstages bei Schneetreiben im offenen LKW über die gerade fertig gestellte Autobahn nach Stuttgart ins Polizeigefängnis gefahren und dort an den folgenden Tagen verhört. Inge Scholl, Ringführerin der Jungmädel im BDM in Ulm, blieb in Stuttgart eine Woche lang in Haft, weil offenbar auch „bündische Umtriebe“ im BDM bzw. bei den Jungmädeln vermutet wurden. Die anderen wurden auf freien Fuß gesetzt.“
--- Einschub „autonome Jugenschaft“ „dj.1.11“ ---
Das NS-Regime verfolgte die „autonome Jungenschaft“, die sich „dj.1.11“ nannte und in striktem Gegensatz zum Nationalsozialismus und zur HJ stand. Diese Gruppierung war von dem jungen Stuttgarter Eberhard Koebel mit seiner am 1.11.1929 in Stuttgart gegründeten „deutschen Jungenschaft“ – dj.1.11 – ins Leben gerufen worden. Sie schrieb Autonomie – Selbstbestimmung – auf ihr Panier, das genaue Gegenteil von „Führer und Gefolgschaft“ im NS-Sinne. Sie machte ein dermaßen attraktives Jugendkulturangebot, dass die gähnende Langeweile des üblichen HJ-Dienstes diesen ins Abseits brachte: Lese- und Diskussionsabende, Wochenendfahrten sommers wie winters mit dem Zelt, Großfahrten – auch illegale – ins Ausland (so Hans mit seiner Gruppe nach Schweden), Abenteuer-Romantik vor allem durch ihr Liedgut. Koebels Botschaft in seiner, wie sie hieß, „Heldenfibel“ stand in krassem Gegensatz zur NS-Ideologie eines blinden militärischen Heroismus und zeigte eher Zweifel und auch Geborgenheiten, aber außerhalb der Partei und ihrer Formationen, nämlich in autonomen Freundschaften. Die „Heldenfibel“ wurde vom NS-Regime als pazifistisch eingestuft und beschlagnahmt, wo immer man ihrer habhaft werden konnte.
--- Einschub „autonome Jugendschaft“ „dj.1.11“ ---
„Worum ging es also zunächst im Prozess gegen Hans Scholl und seine dj.1.11-Jungenschaftskultur in Ulm? Es ging im Gewande des Verfolgens eines Rechtsverstoßes – „bündische Umtriebe“ – um den Versuch, einen charismatischen Jugendführer auszuschalten. Die Einsicht, dass er als wacher selbständiger Kopf und als Anhänger des Regimes inhaftiert und angeklagt worden war, musste Hans Scholl zutiefst verstören und zum Nachdenken zwingen. […]“
„[…] Das Studium der Prozessakten zeigt nun, dass der Anklagepunkt „bündische Umtriebe“ erst im Laufe der Ermittlungen zu einer ursprünglich ganz anders begründeten Anklage gegen Hans Scholl hinzugekommen war. Die „strafbare Handlung“, derentwegen er aufgrund einer Zeugenaussage am 25. November 1937, also etwa zwei Wochen nach der Ulmer Verhaftungsaktion, angezeigt und am 13. Dezember 1937 verhaftet wurde, lautete: „Verbrechen i.S.d. § 175 a, Ziff. 2 des StGB“, in zwei Fällen begangen 1935 und 1936. Was bedeutete dies?
--- Einschub § 175 gleichgeschlechtliche Unzucht ---
In einer Strafrechtsnovelle von 1935 hatte das NS-Regime den § 175 des Strafgesetzbuches – gleichgeschlechtliche „Unzucht“ unter Männern wird mit Gefängnis bestraft – durch den § 175 a ergänzt, der jetzt Zuchthausstrafen bis zu 10 Jahren und Gefängnis nicht unter 3 Monaten androhte, wenn – so die Ziffer 2 – „ein Mann einen anderen Mann unter Missbrauch einer durch ein Dienst-, Arbeits- oder Unterordnungsverhältnis begründeten Abhängigkeit bestimmt, mit ihm Unzucht zu treiben oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen zu lassen“. Bei den Vernehmungen im Zuge der Ermittlungen wegen „bündischer Umtriebe“ wurde regelmäßig auch nach Vergehen § 175 betreffend gefragt, weil dies einem Generalverdacht entsprach: bündisches Jugendleben basiere immer auch auf homoerotischen Beziehungen, von denen angenommen werden müsse, dass sie leicht zu „Unzuchts“-Handlungen führen würden.
--- Einschub § 175 gleichgeschlechtliche Unzucht ---
„[…] In seiner Anklage war ein politischer Straftatbestand enthalten („bündische Umtriebe“) und ein rein zivilstrafrechtlicher (§ 175 a). Welches Gericht sollte nun zuständig sein: eine ordentliche Strafkammer für die sittliche Verfehlung und das Sondergericht für den politischen Straftatbestand? So verlangt es jedenfalls der Anwalt. Hans Scholl wurde von der für ihn zuständigen Militärgerichtsbarkeit der zivilen überstellt, denn der Ludwigsburger Militärrichter war der Auffassung, dass Vergehen vor der Militärzeit ohnehin nicht in seine Zuständigkeit fielen; und sittliche Verfehlungen eines 17-Jährigen mit einem 15-Jährigen gehörten in die Jugendgerichtsbarkeit. Sondergerichtgspräsident Cuhorst zog das gesamte Verfahren ungeteilt an sich. Er konnte dies aufgrund einer Bestimmung in der „Verordnung der Reichsregierung über die Bildung von Sondergerichten“ vom März 1933. Damit schien für Hans Scholl eine gefährliche Verschlechterung seiner Prozesssituation eingetreten zu sein, denn nicht nur, dass Cuhorst als unberechenbar galt, sondern weil auch anders als für die ordentliche Strafgerichtsbarkeit besondere Verfahrensregeln galten: Abschaffung der Voruntersuchung und des Eröffnungsbeschlusses, Abkürzung der Ladungsfrist auf 24 Stunden oder Verhandlung gegen den Beschuldigten auf der Stelle, der Vorsitzende konnte Haftbefehl erlassen, es gab keine Haftbeschwerdeinstanz, freies Ermessen des Gerichts hinsichtlich der Beweiserhebung, gegen das Urteil war kein Rechtsmittel und sofortige Vollstreckung möglich. […]“
--- Einschub Sondergerichtspräsident Curhorst ---
Dieses Instrument der nationalsozialistischen Terrorjustiz befand sich in der Hand des Sondergerichtspräsidenten Cuhorst, einer Stuttgarter Juristenfamilie entstammend. Er galt als unbeherrscht, rüde im Umgang mit Angeklagten, häufig willkürlich in der Urteilsfindung. 120 Todesurteile gehen auf sein Konto! Zugleich aber galt er den übergeordneten Justizbehörden als eigensinnig, manchmal „unerträglich milde“, jedenfalls ließ er sich vonseiten der Gestapo und der Partei nicht reinreden, und 1944 wurde er tatsächlich seines Postens enthoben und der Wehrmacht überstellt. Nach dem Krieg wurde er im Nürnberger Juristenprozess mangels Beweises freigesprochen – die Akten waren bei den Luftangriffen auf Stuttgart verbrannt. Der erste Stuttgarter Nachkriegs-Oberbürgermeister Arnulf Klett schrieb am 3. November 1946 in einer Erklärung für das Alliierte Militärtribunal in Nürnberg unter anderem: „Cuhorst war während seiner Sondergerichtstätigkeit in ganz Württemberg, insbesondere auch auf dem Lande, überaus gefürchtet […] Wenn ich mir die allgemeine Stimmung der Bevölkerung während der Sondergerichtstätigkeit Cuhorst’s in die Erinnerung zurück rufe, so steht fest, dass weite Kreise der Bevölkerung während des ‚3. Reiches’ Cuhorst ablehnten und ihm schon damals wünschten, dass er nach Beendigung des ‚3. Reichs’ den gleichen Weg gehen müsse, den viele seiner Opfer gegangen waren, nämlich den der Hinrichtung.“ Diese Einschätzung teilte auch Carlo Schmid, Staatsrat im Staatssekretariat für das französisch besetzte Gebiet Südwürttemberg-Hohenzollern am 25. Januar 1947: „Wenn Sie mein Urteil über diesen Mann interessiert, den ich schon aus meiner Studentenzeit kenne, so möchte ich es kurz dahin zusammenfassen, dass ich ihn für ein schlechthin amoralisches und widerwärtiges Subjekt gehalten habe. […] Ich glaube, dass das ganze Land es höchlich bedauern würde, wenn dieser Mann keinen Richter fände.“
--- Einschub Sondergerichtspräsident Cuhorst ---
„[…] zurück also zum Prozess. Zunächst einmal ging das Verfahren so weiter, dass Hans auf Initiative seines militärischen Vorgesetzten am 30. Dezember 1937 aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, um wieder seinem Militärdienst nachgehen zu können. Beunruhigend blieb, warum Anfang 1938 die bedrohliche Sache sich hinzog. Schließlich erfolgte Anfang Mai die Anklage, die Verhandlung wurde auf den 2. Juni anberaumt. Sie verlief zügig und endete mit dem überraschenden Ergebnis: der Hauptangeklagte wurde wegen seiner sittlichen Verfehlungen, begangen an Werner Scholl, trotz seines Erwachsenenalters nur zu drei Monaten Gefängnis verurteilt (abgegolten durch die Untersuchungshaft), und bei den drei anderen und damit eben auch für Hans Scholl wurde das Verfahren eingestellt. Wie ist das zu erklären?“
„[…] Hans Scholl entsprach gewiss Cuhorsts Bild vom Führercorps des NS-Staates: willensstark, einsatzfreudig, unbedingt kameradschaftlich. Er ließ deshalb Scholls bündische Betätigung unter dem Deckmantel der HJ durch Zeugenaussage als „Eigensinn“ erscheinen, eines – wie Cuhorst befand – besonders „fähigen Führers“, nahm ihr also jede politische oder kriminelle Bewertung. Nicht anders beurteilte er die „sittlichen Verfehlungen“, nämlich als jugendliche Verirrungen eines im übrigen ganz normal veranlagten jungen Menschen, der seine Verfehlungen überdies schon zum Zeitpunkt des Geschehens seinem jüngeren Freund gegenüber bedauert habe. Außerdem bezweifelte Cuhorst, dass derjenige Passus aus § 175 a hier greifen könne, der von einem Erziehungs- bzw. Abhängigkeitsverhältnis von Täter und Opfer ausgehe. Ein 16½-Jähriger könne nicht der Erzieher eines 15-Jährigen sein, das würde, wie das Urteil ausführt, „jedem gesunden Volksempfinden widersprechen“. Und unter Freunden gebe es auch kein Unterordnungsverhältnis. Überdies: Der damals 17-jährige Angeklagte habe seine „jugendliche Verirrung“, seine „Torheiten“ jetzt überwunden. Das strafwürdige seines Tuns habe er auch gar nicht erkennen können, weil dies zum Zeitpunkt der Tat gar nicht strafbar war. Mehr als 1 Monat Gefängnis sei daher nicht erforderlich. In beiden Anklagepunkten konnte das Gericht angesichts der geringen Strafmaße Gebrauch machen von den Vorschriften des Straffreiheitsgesetzes vom 30. April 1938, das nach dem Anschluss Österreichs verkündet worden war: noch nicht verhängte geringfügige Freiheitsstrafen werden erlassen. So verfuhr das Gericht bei Hans Scholl und stellte das Verfahren ein. […]“
„[…] Dies, einer Willkür ausgesetzt gewesen zu sein, war wohl der ausschlaggebende Grund dafür, dass Hans Scholl „zur Besinnung“ kam. […]“
„[…] geistige[n] Neuorientierung. Hier tritt nun eine Person in den Vordergrund, die in den Vernehmungsprotokollen mehrfach am Rande auftaucht: Otto (Otl) Aicher, später der Mitbegründer der legendären Hochschule für Gestaltung in Ulm. Otl Aicher war Klassenkamerad von Werner Scholl, eine ungewöhnliche Freundschaft verband die beiden. In seinen Lebenserinnerungen schreibt Otl Aicher: „werner und ich gingen in dieselbe schulklasse, die bald ihr abitur machen sollte. wir waren freunde geworden, weil [!] ich mich hartnäckig weigerte, in die hitlerjugend einzutreten. man ließ mich deshalb weder zum abitur noch zum studium zu. meine isolation in der klasse war aufgebrochen. werner zog auf seine Art folgen daraus. er trat aus der naziorganisation aus [!], was Aufsehen erregte, seine geschwister, vor allem hans und inge, waren früher in der hitlerjugend gewesen, man kannte sie in der ganzen stadt.“
Den Kontakt zu den anderen Geschwistern Scholl nahm Otl Aicher nach der Ulmer Verhaftungsaktion auf. Er wurde der intellektuelle Kopf der geistigen Kultur jenes neuen Freundeskreises „Scholl-Bund“. Aicher schreibt: „… freunde, die anfingen, dem drucke der nazis nachzugeben, gingen verloren. […] dafür gewann ich die, die stark geblieben waren. dazu gehörten die geschwister von werner.“ [Hans und Sophie] Er setzte sie „sporadischen intellektuellen attacken aus. wie andere von willy forst, stefan george und zarah leander sprachen, sprachen wir von duns scotus, thomas von aquin und wilhelm von ockham.“ Sie sollten gemeinsam „trainieren, [um] gegen die überflutung des neuen staates bestehen zu können“. Vor allem aber: „ich trieb meine freunde in den rigorismus logischer konsequenzen, in eine intellektuelle selbstbezichtigung, um jede denkgewohnheit in frage zu stellen. dazu gehört auch der ästhetizismus unserer bürgerlichen kultur. [mir] wurde in einer welt, die von nazis umstellt war, der genuß, den die bürgerlichkeit an der kultur hervorhob, allmählich suspekt.“
Otl Aicher war auch derjenige, der über diesen Freundeskreis den Münchner Medizinstudenten Hans Scholl und dann die Schwestern Sophie und Inge in Kontakt brachte zu den Vertretern des Christlichen Humanismus des deutschen Reformkatholizismus, Carl Muth und Theodor Haecker. Sie wurden für Hans, Inge und Sophie Scholl geistige Mentoren in den immer düsterer werdenden Kriegsjahren. Das Entschiedene, das Unbedingte, das Beharren auf der moralischen Autonomie als der letztlich entscheidenden Instanz menschlicher Würde waren gewiss eine Erbschaft aus ihrem Elternhaus und aus der bündischen dj.1.11-Jugend. Dieses geistige Fundament war Hans durch die Erfahrung des Sondergerichtsprozesses unter den Füßen weggezogen worden. Er strebte danach, „etwas Großes für die Menschheit zu werden“, wie er an die Eltern aus der Untersuchungshaft geschrieben hatte. Aber worin konnte dieses „Große“ bestehen? Doch nur in einer Tat gegen das verbrecherische NS-Regime. Und das neue Fundament für neue Entschiedenheit konnte nur ein moralisches sein. Genau dies formulieren die ersten Flugblätter der „Weißen Rose“, die durch Texte von Theodor Haecker und Carl Muth geprägt sind. Es war der „Aufstand des Gewissens“, der Hans und Sophie Scholl zu dem machte, was Hans in einem Brief vom November 1938 als Motiv anklingen ließ: „… die Reinheit unserer Gesinnung lassen wir uns von niemandem antasten. Unsere innere Kraft und Stärke ist unsere stärkste Waffe.“ Aus diesem Geist wurde Hans Scholl der geistig führende Kopf der Münchner „Weißen Rose“. Der Weg dorthin begann am Wendepunkt seines Lebens: mit dem Sondergerichtsprozess von 1938 in Stuttgart.“
Bei der Quelle dieses Artikels handelt es sich um ein Manuskript des SWR mit Professor Ullrich Herrmann und Ralf Caspary.
Rosengarten Ulm
Münchner Straße 2, 89073 Ulm, DE
Im Rosengarten Ulm findet sich eine weiße Rose, die Sophie Scholl gewidmet ist.
Ein sehr schönes symbolisches Zeichen - das einen darüber nachdenken lässt, warum die Widerstandsgruppe sich „Weiße Rose“ nannte.
Hans Scholl selbst gab bei seiner Verhörung durch die Gestapo an, den Namen willkürlich, beziehungsweise unter dem unbewussten Einfluss der „Romanzen vom Rosenkranz“ von Clemens Brentano gewählt zu haben. Vor allem in Anbetracht der starken christlichen Motivation der Widerstandsbewegung könnte diese Gedichtesammlung, die sich mit der Rückkehr zum Katholizismus beschäftigt, durchaus den Namen der Weißen Rose beeinflusst haben.
Andererseits wird auch spekuliert, Hans Scholl habe die wahre Bedeutung des Namens der Widerstandsgruppe nicht erläutert, um seine Mitstreiter vor der Gestapo zu schützen. Häufig wird in diesem Zusammenhang das Werk „Die weiße Rose“ von B. Traven zitiert, welches einen Geschäftsmann porträtiert, der einen indigenen Stamm aus Habgier und Machtwahn auslöscht, thematisiert. Es gilt als gesichert, dass Hans Scholl dieses Buch kannte und schätzte. Möglicherweise zog er die Parallele zwischen der erfundenen Situation des Buches und der Machtgier Hitlers, durch die er jegliche Moral und Menschenwürde außer Acht ließ.
In einem Brief an seine Schwester Inge schrieb Hans Scholl außerdem: „In meiner Brusttasche trage ich die Knospe einer Rose. Ich brauche diese kleine Pflanze, weil das die andere Seite ist, weit entfernt von allem Soldatentum und doch kein Widerspruch zu dieser Haltung.“
War die weiße Rose also ein Zeichen der Hoffnung? Eine Zurückbesinnung auf die Schönheit der Natur? Ein Verlangen nach Frieden?
Bis heute ist ungeklärt, warum genau die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ genannt wurde. In jedem Fall bewirkt es Eines - das Nachdenken, das Grübeln und die Auseinandersetzung mit der Geschichte.
Der Rosengarten Ulm wurde 1970 angelegt und im Jahr 2007 umfassend neu gestaltet. Er findet sich auf einer Anhöhe direkt am Donauufer und beeindruckt mit 200 verschiedenen Rosensorten und neuen Blüten sowie einem speziellen Farbkonzept zu jeder Jahreszeit.
Hans-und-Sophie-Scholl Platz
89073 Ulm, DE
Der Hans-und-Sophie-Scholl Platz ist der zentrale Platz der neuen Mitte in Ulm - ein Ort, an dem vor dem Krieg die Hauptverkehrsader durch die Stadt zog, und der später komplett umgestaltet wurde.
Die neue Mitte besteht aus einem Ensemble von historischen Gebäuden wie dem Ulmer Rathaus und modernen Gebäuden wie der Kunsthalle Weishaupt. All diese Gebäude stehen um den Hans-und-Sophie Scholl Platz herum - ein bewusst unbebauter Platz inmitten vieler hoher Gebäude.
Einerseits natürlich, um inmitten des Neuen auch an die Ulmer Jugendlichen zu erinnern, die dem NS-Regime mutig die Stirn boten.
Andererseits auch, weil ihr Erbe es ist, das den Ulmer Stil bis heute prägt. Wie an der Station „Volkshochschule Ulm“ ausführlicher beschrieben wurde, gründete Inge Aicher-Scholl, die Schwester von Hans und Sophie Scholl, die Volkshochschule Ulm und die Hochschule für Gestaltung. Letztere wurde weltweit bekannt und war der Ausbildungsort vieler moderner Künstler, die den Stil der heutigen besonderen Gebäude Ulms maßgeblich prägten.
In diesen Institutionen lebt der Geist der Geschwister Scholl weiter, und damit auch das Bestreben nach Gerechtigkeit, Freiheit und anderen moralischen Werten, die neben dem Dialog in der Ulmer Volkshochschule auch künstlerisch verarbeitet wurden.
Stele zum Gedenken an die Weiße Rose
Münsterplatz 33, 89073 Ulm, DE
Von 1939 bis 1944 wohnte die Familie Scholl am Münsterplatz 33. Das Haus wurde während des Zweiten Weltkriegs bei einem Bombenangriff zerstört. Heute befindet sich dort eine Bankfiliale. Davor erhebt sich eine metallene Stele mit einer Rosette - zum Gedenken an die Widerstandgruppe "Weiße Rose". Die Stele wurde gestaltet von Otl Aicher, dem Gründer der Hochschule für Gestaltung und Ehemann von Inge Scholl, der Schwester von Hans und Sophie.
Volkshochschule und Denkstätte Ulm
Kornhausplatz 5, 89073 Ulm, DE
Die Volkshochschule Ulm wurde 1946 von Inge Aicher-Scholl, der älteren Schwester von Hans und Sophie Scholl, drei Jahre nach deren Tod gegründet. Die Volkshochschule sollte ein Ort sein, an dem das moralische und politische Erbe ihrer Geschwister weiterleben sollte, so wurden die Bürger bereits früh motiviert, sich aktiv in gesellschaftspolitische Fragen einzubringen.
In der Ulmer Volkshochschule findet sich auch die Ulmer „Denkstätte Weiße Rose“, die neben Hans und Sophie Scholl auch andere Ulmer Jugendliche porträtiert, die auf verschiedenste Art und Weise Widerstand gegen das NS-Regime geleistet haben. Die Ausstellung existiert seit 2001, weshalb viele der Kurztexte in dieser Ausstellung Originalzitate der damaligen Jugendlichen sind. So erfährt man zum Beispiel, dass die meisten Mitglieder der Weißen Rose aus Ulm kamen, oder wie einige Jugendliche jüdische Kinder in ihren Jugendgruppen versteckten, wie mutige junge Menschen Flugblätter verteilten und dabei ihr Leben riskierten, und wie Zwangsarbeitern zur Flucht verholfen werden konnte.
So wird neben Hans und Sophie Scholl und vielen weiteren auch Otl Aicher, der spätere Ehemann von Inge Aicher-Scholl, porträtiert. Er war in der NS-Zeit selbst als Widerständler aktiv, saß selbst bereits als 15-Jähriger in Untersuchungshaft und wollte Hans und Sophie Scholl am Tag ihrer Verhaftung warnen, kam jedoch einige Stunden zu spät.
Das Erbe von Hans und Sophie Scholl ist bis heute in vielen Ecken der Volkshochschule Ulm lebendig. So nicht nur in der Dauerausstellung zur weißen Rose oder dem Eblem der Eule, die für Weisheit steht, sondern auch in dem Titelblatt des Programmheftes der Volkshochschule, welches in diesem Jahr, passend zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl, ihr Bild trägt.
Straßenbahn Ulm
89073 Ulm, DE
Jedes Fahrzeug der beiden Straßenbahnlinien Ulms ist einer bekannten Persönlichkeit gewidmet, die einen Bezug zur Stadt Ulm hatte.
Neben Albert Einstein, Max Eyth und Felix Fabri sind auch Sophie Scholl, Hans Scholl, Inge Aicher-Scholl und Otl Aicher Namensgeber für jeweils eine Straßenbahn.
Außen und innen im Fahrzeug ist jeweils der Name geschrieben, außerdem findet sich eine kurze Beschreibung zur jeweiligen Person.
Martin-Luther-Kirche 1
Wagnerstraße 1, 89077 Ulm, DE
Aus den Vernehmungen von Sophie Scholl zur Herstellung und Verbreitung des 5. Flugblattes, München, 20.02.1943.
Martin-Luther-Kirche 2
Zinglerstraße 66, 89077 Ulm, DE
Verbreitung des 5. Flugblattes
Franz Josef Müller wurde 1942 in Ulm geboren und gehörte der „Ulmer Abiturientengruppe“ der Weißen Rose an. Zur Verschickung der Flugblätter sammelte er Geld und besorgte Briefmarken und half bei der Verteilung der Briefe. Mit seinem Schulfreund Hans Hirzel, dem Sohn des damaligen Pfarrers, traf er sich dazu in der geheimen Orgelkammer der Martin-Luther-Kirche in Ulm. Franz J. Müller wurde 1943 verhaftet und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. 1945 wurde er von den Amerikanern befreit.
Es folgt die Erzählung der Verbreitung des 5. Flugblattes aus der Sicht von Franz J. Müller, zusammengetragen aus diversen Interviews.
Quellen:
Die Weiße Rose. Zeitzeugen erinnern sich: Sibylle Bassler
Interview mit der DS vom 18.02.2013
Interview mit Thomas Mitsch im Februar 2009
In der Martin-Luther-Kirche gibt es eine Gedenkstätte, die meistens täglich von 09.00 bis 18.00 Uhr kostenlos für Besucher geöffnet ist.
Martin-Luther-Kirche 3
Zinglerstraße 66, 89077 Ulm, DE
Hintergründe zur Entstehung und Verbreitung des 5. Flugblattes.
00:00 min: Das 5. Flugblatt
03:27 min: Entstehung des 5. Flugblattes
06:14 min: Inhalt
09:21 min: Produktion
13:34 min: Sophie Scholls Reise zur Verteilung der Flugblätter
Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland.
Aufruf an alle Deutsche!
Der Krieg geht seinem sicheren Ende entgegen. Wie im Jahre 1918 versucht die deutsche Regierung alle Aufmerksamkeit auf die wachsende U-Boot-Gefahr zu lenken, während im Osten die Armeen unaufhörlich zurückströmen, im Westen die Invasion erwartet wird. Die Rüstung Amerikas hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht, aber heute schon übertrifft sie alles in der Geschichte seither Dagewesene. Mit mathematischer Sicherheit führt Hitler das deutsche Volk in den Abgrund. Hitler kann den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern! Seine und seiner Helfer Schuld hat jedes Maß unendlich überschritten. Die gerechte Strafe rückt näher und näher!
Was aber tut das deutsche Volk? Es sieht nicht und es hört nicht. Blindlings folgt es seinen Verführern ins Verderben. Sieg um jeden Preis! haben sie auf ihre Fahne geschrieben. Ich kämpfe bis zum letzten Mann, sagt Hitler - indes ist der Krieg bereits verloren.
Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren ist? Wollt Ihr mit dem gleichen Maße gemessen werden wie Eure Verführer? Sollen wir auf ewig das von aller Welt gehaßte und ausgestoßene Volk sein? Nein! Darum trennt Euch von dem nationalsozialistischen Untermenschentum! Beweist durch die Tat, daß Ihr anders denkt! Ein neuer Befreiungskrieg bricht an. Der bessere Teil des Volkes kämpft auf unserer Seite. Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, ehe es zu spät ist!
Glaubt nicht der nationalsozialistischen Propaganda, die Euch den Bolschewistenschreck in die Glieder gejagt hat! Glaubt nicht, daß Deutschlands Heil mit dem Sieg des Nationalsozialismus auf Gedeih und Verderben verbunden sei! Ein Verbrechertum kann keinen deutschen Sieg erringen. Trennt Euch rechtzeitig von allem, was mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt! Nachher wird ein schreckliches, aber gerechtes Gericht kommen über die, so sich feig und unentschlossen verborgen hielten.
Was lehrt uns der Ausgang dieses Krieges, der nie ein nationaler war?
Der imperialistische Machtgedanke muß, von welcher Seite er auch kommen möge, für alle Zeit unschädlich gemacht werden. Ein einseitiger preußischer Militarismus darf nie mehr zur Macht gelangen. Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird. Jede zentralistische Gewalt, wie sie der preußische Staat in Deutschland und Europa auszuüben versucht hat, muß im Keime erstickt werden. Das kommende Deutschland kann nur föderalistisch sein. Nur eine gesunde föderalistische Staatenordnung vermag heute noch das geschwächte Europa mit neuem Leben zu erfüllen. Die Arbeiterschaft muß durch einen vernünftigen Sozialismus aus ihrem Zustand niedrigster Sklaverei befreit werden. Das Truggebilde der autarken Wirtschaft muß in Europa verschwinden. Jedes Volk, jeder einzelne hat ein Recht auf die Güter der Welt!
Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa.
Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die Flugblätter!
Quellen:
Bald, Detlef: Die „Weiße Rose“. Von der Front in den Widerstand
Deutenhauser, Petra: Die Flugblätter der weißen Rose
Lehmann, Katrin Esther:: Zur Sprache der "Weißen Rose" in ihren Flugblättern 1942 - 1943.
Steinbach, Peter; Tuchel, Johannes: Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Schneider, Michael C.; Süß, Winfried: Keine Volksgenossen, Widerstand der Weißen Rose
Scholl, Inge: Die Weiße Rose
Siefken, Hinrich (Hrsg.): Die Weiße Rose und ihre Flugblätter. Dokumente, Texte, Lebensbilder, Erläuterungen.
Zankel, Sönke: Die Weisse Rose war nur der Anfang. Geschichte eines Widerstandskreises.
Hans und Sophie-Scholl-Gymnasium
Mit Hans und Sophie Scholl sind zwei der bekanntesten Köpfe Ulms seit 1972 Namensgeber eines Ulmer Gymnasiums, dem Hans und Sophie Scholl-Gymnasium, welches sich direkt neben der Martin-Luther-Kirche befindet. Unter dem damaligen Schulleiter Dr. Rudolf Amann wurde die Koedukation eingeführt und damit war der bis dahin gewählte Name „Mädchengymnasium” nicht mehr zutreffend. Die jüdische Physikerin Lise Meitner sollte den Eltern und dem Kollegium nach die Namensgeberin werden. Die Schülerinnen wollten hingegen die Geschwister Scholl als Namen. Die Entscheidung übernahm schließlich der Oberbürgermeister, und entschied sich für die Geschwister Scholl.
Kontakte der Scholl Geschwister – Frühe Konflikte
Bahnhofplatz 1, 89073 Ulm, DE
Kurt Huber
"Als deutscher Staatsbürger, als deutscher Hochschullehrer und als politischer Mensch erachte ich es als Recht nicht nur, sondern als sittliche Pflicht, an der politischen Gestaltung der deutschen Geschicke mitzuarbeiten, offenkundige Schäden aufzudecken und zu bekämpfen." Verteidigungsrede, Volksgerichtshof, 19. April 1943
Huber wurde 1926 außerordentlicher Professor an der Universität München und lernte dort seinen Studenten Hans Scholl kennen. Die Berufung auf einen ordentlichen Lehrstuhl wurde seit 1933 durch die Nationalsozialisten wegen körperliche Behinderung durch eine Nervenerkrankung mit Lähmungsfolgen in der Kindheit verhindert. Ende 1942 suchte Hans und Sophie Scholl sowie Alexander Schmorell den persönlichen Kontakt zu Kurt Huber, den sie als Dozenten bereits aus dessen Philosophie-Vorlesung sowie von privaten Zusammenkünften von Münchner Regimegegnern kannten. Gemeinsam schrieben sie nach vielen Gesprächen im Januar 1943 das fünfte Flugblatt. Zunächst kam es zu Meinungsverschiedenheiten, weil die Scholl Geschwister eine deutlichere Ablehnung zum Ausdruck bringen wollten. Kurt Huber schlug vor die Kreise der Flugblätter zu erweitern, um eine breitere Masse zu erreichen.
Nach der Niederlage gegen Stalingrad 1943 bezog Huber erstmals öffentlich in einer Vorlesung Stellung.
„Wir gedenken heute der Opfer von Stalingrad, die Zeit der Phrasen ist vorbei“
Kurt Huber wurde im Jahr 1943 hingerichtet, nachdem er im Verhör sich klar auf die Seite der Studenten stellte. Er bekannte sich nicht nur zum „Mitwisser“ sondern klar als „Mittäter“.
Eberhard Kobel
Aufgrund der Ablehnung des Lebensbund-Prinzips der bündischen Jugend, gründete Kobel die Deutsche Jungenschaft vom 1. November 1929 (kurz: d.j. 1.11) als Abspaltung der bündischen Jugend. Seine politischen Ansichten waren stark durch die KPD beeinflusst. Eberhard Kobel, oder auch „Tusk“ als Pfadfindername, war deutscher Autor und gilt als Entwickler der Kohte (spezielle Zeltform).
Nachdem Hitler die Macht ergriffen und damit jegliche Vereinigungen verboten wurden, riet er seinen Mitgliedern sich der HJ anzuschließen und plante damit eine „geistige Elite“ innerhalb dieser Institution. Es wurden u.a. Reisen nach Skandinavien und diverse Wanderungen organisiert, bei denen sich ein ausgewählter Kreis neuen Gedanken bzw. Themen beschäftigen konnte. Diese Idee der „Kulturelite“ wurde von Hans Scholl genutzt und als Grundstein für seinen unauffälligen, aber gezielten Widerstand gesehen. 1934 wurde „tusk“ festgenommen und nach zwei Selbstmordversuchen freigelassen.
Carl Muth
ist Gründer der Monatsschrift „Hochland“ im Jahr 1903. Diese Zeitschrift thematisierte diverse Themen insbesondere Literatur und Kunst.
In der Zeit unmittelbar vor Kriegsbeginn kam es zu einem „Katholischen Literaturstreit“, bei dem die Darstellung der Kirche im modernen Zeitalter kritisiert wurde. 1914 forderte die Zeitung eine „religiös-moralische Erneuerung“ mit dem Ziel dem Christentum mehr Bedeutung in der Weimarer Republik zu geben. Bereits 1931 äußerten sich Autoren der Zeitschrift die „nationalsozialistische Ideologie zurückzuweisen und zu überwinden“
„Sie rufen Heil, Heil, wo doch kein Heil ist“
Muth engagierte sich in seiner Redaktion zusammen mit diversen Autoren, in deren Beiträgen – in gegenseitiger vertraulicher Absprache – der Name Hitler durchwegs unerwähnt blieb. Mitglieder dieser Gruppe der "inneren Emigration" waren Theodor Heacker, Friedrich Dessauer (1881-1963), Konrad Weiß, Romano Guardini, Alois Dempf und Werner Bergengruen. Diese Bewegung hatte direkten Einfluss auf die Geschwister Scholl. Das Verbot der Zeitschrift erfolgte 1941, obwohl sich in den Jahren davor die Auflagenzahl mehr als verdoppelt hatte. Muth erkannte und beschrieb die Gefährlichkeit des heraufziehenden Nationalsozialismus. Kritik wurde „literarisch oder theologisch verhüllt“. Nachdem das Dezemberheft 1939 wegen Joseph Bernharts apokalyptischer Weihnachtsbetrachtung „Hodie“ hatte eingestampft werden müssen, wurde „Hochland“ 1941 endgültig verboten. Hans Scholl pflegte engen Kontakt zu Muth im Zeitraum 1941-1942, da er neben seinem Studium in Muths Bibliothek. Er galt als eine Art Mentor. Muth entging nach der Verhaftung der Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ 1943 nur knapp einer Festnahme. Er starb im Jahr darauf nach schwerer Krankheit. „Hochland“ wurde unmittelbar nach Kriegsende wiederbelebt und noch 30 Jahre fortgeführt
Quellen:
Die weiße Rose, Sturm Frank (2013)
Bundeszentrale für politische Bildung
Deutsche-Biographie.de
Historisches-Lexikon-Bayern.de
Wikipedia