Ulmer Mühlen Weg

Stadtführung Schwörhausgasse 1/1, 89073 Ulm, DE

Der Ulmer Mühlen Weg führt auf einer Strecke von ca. 5 km zu den Standorten von 22 Mühlen im Ulmer Stadtgebiet und verdeutlicht die technikgeschichtliche Entwicklung vom handwerklichen Mühlenbetrieb des 19. Jahrhunderts zur regionalen Industriestruktur der Neuzeit.

Autor: Manfred Pötzl

Ulmer Mühlen

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7 Stationen

An der Blau

Klosterstraße 51, 89081 Ulm, DE

Unser Weg zu den Ulmer Mühlen beginnt in Söflingen unterhalb der TSG-Sportplätze.
Stehen wir hier nun an der Blau?
Die meisten, denen wir auf diesem beliebten Spazierweg begegnen, werden das bejahen. Aber das ist nicht ganz korrekt. Was hier so idyllisch vor sich hin plätschert ist der Blau-Kanal. Die „richtige“ Blau fließt ca. 600 Meter nördlich von hier entlang der Bahnlinie Ulm – Sigmaringen. Der Blau-Kanal wurde zur Versorgung Söflingens und des Klosters angelegt. An ihm lagen 4 Mühlen. Beim Blautal-Center mündet er wieder in die Blau.

Die Blau ist das einzige für Mühlen nutzbare Fließgewässer in Ulm. Die viel mehr Wasser führende Donau und die kräftiger strömende Iller waren lange Zeit nicht zu beherrschen. Erst mit Aufkommen der Turbinentechnik konnte die Energie dieser beiden Flüsse für Wasserkraftwerke gewonnen werden.

Über Jahrhunderte waren die Naturkräfte Wind und Wasser sowie die Leistungsfähigkeit von Mensch und Tier die einzigen Antriebsquellen für Maschinen.
Der Wind entlang der Alb-Kante, an der Ulm liegt, ist zu unstetig um ihn in einer Windmühle zu nutzen. Ein Versuch vor dem Gögglinger Tor blieb deshalb erfolglos.
Mit Tieren angetriebene Mühlen sind im Unterhalt und Betrieb zwar sehr aufwändig, dafür aber auch zuverlässig. In Ulm wurden daher lange Zeit zwei Roß-Mühlen betrieben, die die Versorgung mit Mehl sicher stellen sollten, falls durch einen Kriegsgegner der Wasserzufluß der Blau unterbrochen würde.

Erst mit der Erfindung der Dampfmaschine verloren die wassergetriebenen Mühlen ihre Bedeutung. Viele wurden im 2. Weltkrieg zerstört oder schon vorher abgerissen. Ihre früheren Standorte sind aber oft noch an den alten Wasserbauwerken wie Sohlschwellen oder Fallenstöcke erkennbar.

Wir folgen diesen Spuren.

Söflingen - Stampfe

Clarissenstraße 11, 89077 Ulm, DE

Dem ersten Mühlrad begegnen wir am Eingang zu Söflinger Klosterhof. Eine Schautafel sagt uns, dass mit diesem Wasserrad an die frühere Stampfe erinnert werden soll.
Aber schon vor der Stampfe stand hier ein Mühlwerk, ein sogenannter Drahtzug.

Bis in das 14. Jhd. hinein waren Kettenhemden ein wichtiger Bestandteil von Rüstungen. Dafür waren große Mengen an Drahtringen notwendig, die mit viel Arbeitsaufwand von Drahtziehern hergestellt wurden. Um einen Draht zu bekommen zog man geschmiedete Rundstäbe durch einen Ziehstein, in den eine Reihe konischer Löcher mit unterschiedlichem Durchmesser gebohrt sind. Die notwendige Zugkraft lieferte ein Wasserrad.
Nach der Ablösung der Kettenrüstung durch Plattenpanzer waren Nadeln, Nägel und Siebe das Hauptprodukt dieses Handwerks. Das Produktionsverfahren für Draht hat sich aber bis heute erhalten.

Im Blautal vor Ulm gab es drei solcher Drahtzüge.

Der Drahtzug Holl hier am Eingang zum Söflinger Klosterhof ging 1842 nach einem Brand in Konkurs. Fünf Jahre später baute dann an gleicher Stelle Schwenk seine Zement-Stampfe.

Die Mühle des Drahtzugs Reichenberger wurde 1869 von den Gebr. Grötzinger in eine Pappdeckelfabrik umgebaut. Sie lag 2,5 km flußaufwärts bei Blaustein, gehörte aber noch zur Söflinger Gemarkung.

Mit dem Mühlwerk des Drahtzugs Beck am Fuß der Söflinger Weinberge (heute westlich der Gärtnerei Stollmaier) betrieb dann ab 1868 die Weberei Steiger & Deschler 36 Webstühle.
Auf die Geschichte dieses Unternehmens gehen wir an der nächsten Station noch näher ein. Auf dem Weg dorthin kommen wir an der Kloster- und der Kunstmühle vorbei.

Söflingen - Dorfmühle

Griesgasse 71, 89077 Ulm, DE

Die mittelalterliche Reichsstadt Ulm verdankte einen Großteil ihres Wohlstands dem Barchent, einem Mischgewebe aus Baumwolle und Leinen. Obwohl dieser Handel wegen sich ändernder Handelsbeziehungen und billigeren Herstellungsverfahren in anderen Ländern Anfang des 19. Jhd. zum Erliegen kam, hielten die Ulmer an ihren Traditionen fest.
Ein paar fortschrittliche Unternehmer versuchten dennoch durch Mechanisierung ihrer Produktion diesem Niedergang zu trotzen. Dazu waren sie auf die Antriebskräfte in den Mühlen angewiesen. Johann Georg Krauß erwarb deshalb die Spitalmühle im Osten der Stadt, musste aber bald nach Senden an die Iller ziehen, da deren Leistung für seine Weberei und Spinnerei nicht ausreichte.

Besser gelang dieser technologische Wandel Ulrich Steiger und Albert Deschler. Sie kauften nicht nur den Drahtzug Beck sondern später auch die Kunst- und die Söflinger Dorfmühle, an deren Stelle wir hier stehen.
Weitsichtig rüsteten sie ihre Fabrik, die 1887 auf dem Mühl-Gelände eingerichtet wurde, mit einer Turbine zur Stromerzeugung für die Webstühle, einem eigenen Gaswerk für die Beleuchtung und einer Dampfheizung aus.
Das Unternehmen entwickelte sich gut, Werke in Krumbach und Ravensburg/Weißenau kamen bald dazu. Es wurden zwar überwiegend noch Stoffe für Bekleidung und Heimtextilien hergestellt, im 2.Weltkrieg kamen dann aber auch technische Gewebe z.B. für Fallschirme und Schreibmaschinen-Farbbänder dazu.
Aus dieser Produktionslinie entwickelt sich die Firma Interglas, deren feuerfeste Glasgewebe unter dem Namen „ulmia“ bekannt waren.

Steiger & Deschler haben in diesem Fabrikgebäude bis in die 1980er Jahre hinein produziert und sind dann erst nach Blaustein, später dann nach Erbach gezogen.
Heute sitzt die Firma in Krumbach und gehört einem thailändischen Unternehmen.

Wir verlassen jetzt Söflingen, das bis 1905 ein eigenständiger Ort war, und begeben uns in das freie Feld vor den Stadttoren Ulms.

Blauinsel

Blumenscheinweg 20, 89077 Ulm, DE

Bis in die Neuzeit hinein war es gefährlich außerhalb der Stadtmauern zu wohnen oder einem Gewerbe nach zu gehen. Zu leicht konnte man Opfer von durchziehenden Heeren oder marodierenden Vagabunden werden. Manchmal ließ es sich jedoch nicht vermeiden, besonders, wenn das ausgeübte Handwerk mit Lärm, Gestank oder großer Feuersgefahr verbunden war und daher in den eng bebauten Gassen nicht geduldet wurde.

Vorallem die Brandgefahr war sicher einer der Gründe, dass sich westlich des Gögglinger Tors der Eisen- und der Kupferhammer angesiedelt haben. Beides waren Handwerksbetriebe, in denen Halbzeuge wie Stangen und Bleche für Gebrauchsgüter, z.B. Sensen, Schaufeln aber auch für Waffen, hergestellt wurden.

Während der Kupferhammer, der seit 1784 der Familie Schwenk gehört, auch als Tabakmühle, Baumwoll-Reisserei und Terrazzo-Fabrik genutzt wurde blieb der Eisenhammer unter der Fam. Woydt bis 1912 als Werkzeugfabrik ein metallverarbeitender Betrieb.

Auf dem Weg hier her sind wir am Oberen B'scheid und an der Oberen Bleicher Walk vorbei gekommen.

Am Oberen B'scheid wird die Blau in zwei Arme geteilt, die Große und die Kleine Blau, die dann getrennt durch Ulm fließen.

Die Obere Bleicher Walk war eine Mühle, die Wasserräder in beiden Blauarmen besaß. Sie wurde auch als Tabakmühle, Steinsäge und Farbenfabrik genutzt.

Einer weiteren Walke werden wir dann an der nächsten Station jenseits der stark befahrenen Bundesstraße begegnen.

Blumenschein

Hindenburgring 30, 89077 Ulm, DE

Im Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit galt das Müllergewerbe ähnlich wie der Beruf des Schäfers, des Leinenwebers oder des Scharfrichters als ehrlos und am Rand der nach Ständen organisierten Gesellschaft stehend. Solche "gefährlichen" Leute wollte man möglichst nicht in der Stadt haben.

Eine ganz andere, sehr reale Gefahr ging von den Betreibern der Pulvermühle aus, die über viele Generationen hinweg der Familie Beiselen gehörte. In einer Pulvermühle wird aus den Zutaten Holzkohle, Schwefel und Salpeter Schwarzpulver hergestellt, das als Treibladung von Schusswaffen für die Stadtverteidigung zwar enorm wichtig war, wegen der damit verbundenen hohen Explosionsgefahr deshalb unbedingt außerhalb von Ortschaften hergestellt werden musste.

Das chemische Wissen aus der Schwarzpulverproduktion hat Carl Beiselen sicher dabei geholfen, ab 1891 in seiner Mühle Thomasmehl herzustellen. Thomasschlacke entsteht als Nebenprodukt bei der Eisen- und Stahlerzeugung und wird fein gemahlen als kostengünstiger Phosphatdünger in den Handel gebracht.
Schon ein Jahr später zieht er mit der Produktion in die Söflinger Stampfe um, stirbt aber bereits im Jahr 1900.
Sein Prokurist Georg Pressmar baute den Betrieb dann zu dem heutigen Unternehmen aus.

Weniger gefährlich aber dafür in ihren Ausdünstungen sicher sehr unangenehm für die Nachbarschaft war die der Pulvermühle gegenüber liegende Lohmühle. Darin wurde aus Baumrinde Gerblohe hergestellt. Besitzer der Lohmühle war daher die Rotgerberzunft. Rotgerber verarbeiten Rinderhäute zu strapazierfähigen, kräftigen Ledern die für Schuhsohlen, Stiefel oder Sättel verwendet werden.

Weißgerber stellen dagen ein mit Mineralien gegerbtes feines Leder von Kalb, Schaf und Ziege her aus dem man Handschuhe, Taschen und Arbeitsschürzen machen kann. Ihre Arbeitsverfahren ähneln denen der Grau-Tuchmacher, in Ulm Marner genannt. Beide Zünfte betrieben daher zusammen die Marner Walk als Walkmühle.

Die Bezeichnung "Beim Blumenschein" für dieses heute als Dichterviertel bekannten Gebiets geht auf eine beliebte Ausflugsgaststätte zurück, die hier auch einmal stand. Eigentlich erstaunlich für diese "anrüchige" Nachbarschaft, die wir nun in Richtung Innenstadt verlassen.

Innenstadt

89073 Ulm, DE

Sedelhof

Auf dem Treppenabgang des Bahnhofstegs stehend blicken wir linker Hand auf die neu gebauten Sedelhöfe. Vor 200 Jahren kannte man das Areal aber eher unter der Bezeichnung „Bei derSchwesternmühle“, benannt nach der den Söflinger Klosterschwestern gehörenden Mühle auf dem heutigen Albert-Einstein-Platz.

In nahezu jedem Gebäude zwischen dem Bahnhof und dem Münsterplatz gibt es in einem Laden irgend etwas zu kaufen. Aber noch vor gut 150 Jahren war diese Form des Einzelhandels weitgehend unbekannt. Sich die Ware selbst auszusuchen ist sogar erst seit etwas mehr als 60 Jahren in Mode. Davor wurde direkt beim Hersteller, dem Bäcker, Metzger, Schneider oder Schmid gekauft oder man ist, soweit man sich nicht selbst versorgte, auf einen der vielen Märkte der Stadt gegangen.
Zum ausgehenden 19.Jahrhundert merkte man aber auch in Ulm, dass sich nennenswerte Teile der Bevölkerung, die nach dem Bau der Bundesfestung, dem Anschluß an die Bahn und dem Ausbau des Münsterturms stark angewachsen war, auf diese Weise kaum noch versorgen ließen; neue Vertriebswege waren nötig.

Schlaue Kaufleute haben schnell erkannt, dass neben der Qualität und dem Preis auch die Lage eines Geschäftes eine große Rolle spielt. Sie versuchten deshalb an zentralen Straßen oder Plätzen sog. Bazare oder Magazine zu errichten oder übernahmen das neu aufkommende Warenhaus-Konzept.

Besonders groß war der Platzbedarf von Anton Wielath, der für seine Möbelfabrik in der Kepplerstraße geeignete Verkaufsräume suchte und diese in der nach dem Tod von Georg Schmid frei gewordenen Funkenmühle (heute ShoeTown Werdich) fand. Die von ihm nicht benötigten Räume vermietete er an ein Bekleidungshaus und an Anton Leiber, der dort eine „Auto-Zentrale“ einrichtete.

Einen ähnlichen Weg ging Ernst Kraft, der versuchte, seine gutgehende Mehlhandlung in der Langmühle durch die Aufnahme weiterer Betriebe, wie z.B. einen Molkereiladen und eine Papierhandlung, noch kundenfreundlicher zu gestalten. Der Langmühlenbau war lange noch vielen Ulmern als Kaufhaus bekannt und beherbergt heute neben kleineren Läden auch ein Schuh-Discounter.

Zwischen der Funken- und der Langmühle stand die Baurenmühle. Nachdem sie 1890 abgebrannt ist wurde auf dem Gelände der Saalbau errichtet, das wichtigste Veranstaltungszentrum Ulms Anfang des 20.Jahrhunderts.

Der Tabak, der bei den Vergnügungen der damaligen Zeit geraucht und geschnupft wurde, stammte ofmals aus dem Hause Bürglen und damit aus der Tabakfabrik, die die Gebrüder Bürglen in ihrer Mühle am Lederhof betrieben.

Fischerviertel

Schwörhausgasse 1/1, 89073 Ulm, DE

Mit einer Mühle verbindet man heute zumeist die Herstellung von Mehl. Das trifft überwiegend auch für die Mühlen in der Ulmer Altstadt zu. Bis auf die Münz waren hier alle Betriebe ausschließlich oder überwiegend Getreidemühlen. Dennoch wurde darin mehr als nur das Mehl für die tägliche Brezel oder das Ulmer Zuckerbrot produziert.

Im Gegensatz zu den heute üblichen Walzenwerken bestand ein Mahlgang früher aus zwei Mühlsteinen, von denen einer fest auf dem Boden verankert ist und der oben liegende Läuferstein durch ein Wind- oder Wasserrad angetrieben wird. Der Abstand zwischen den Mahlsteinen bestimmte den Feinheitsgrad des Mahlguts und damit den Mehltyp bzw. die Art des Endprodukts, also neben Mehl z.B. Gries oder Schrot.

Eine Mühle besaß in der Regel mehrere Mahlgänge. Um Gerste und den besonders in Schwaben verbreiteten Dinkel zu verarbeiten war zusätzlich noch ein sog. Gerbgang nötig, in dem das Korn vom Spelzen getrennt wird.
Dieser Gerbgang eignet sich auch für die Herstellung eines anderen Produkts, der Rollgerste, die heute noch unter der Bezeichnung Graupen bekannt ist und die bis Mitte des 20.Jahrhunderts eine wesentlich größere Rolle in der Ernährung gespielt hat.

Gottlieb Kimmelmann hat sich diesem Nährmittel in besonderem Maße gewidmet und ab 1888 in der Bochslersmühle seine „Ulmer
Rollgerste-Fabrik“ eingerichtet. Sein Bruder Karl indessen betrieb die vom Vater geerbte Ulmer Münz als Schleifmühle und Ölfabrik weiter.

Auf dem Speiseplan des einfachen Volks wurden die weniger nahrhaften Graupen bald von Nudeln abgelöst. Schon Ende des 19.
Jh. haben sich deshalb in der Stadt mehrere Nudelfabriken angesiedelt, die „Bären-Nudeln“ von David Laible dürften noch
manchem älteren Ulmer bekannt sein.

Vielen ebenso noch namentlich bekannt ist die Veltensmühle unterhalb des Weinhofbergs. Weitgehend vergessen dagegen die ihr gegenüber gelegene Isakenmühle.

Am Ende des Ulmer Mühlen Weges liegt die 1983 abgebrannte alte Schapfenmühle. Neu und größer in Jungingen errichtet weist ihr welthöchster Siloturm schon von Weitem sichtbar den Weg in die Innovationsregion Ulm, deren Wurzeln nicht zuletzt in den Mühlen der Stadt zu suchen sind.